Dienstag, 9. Mai 2017

Auf der Flucht

AUF DER FLUCHT

Ich stehe irgendwo mit dem Auto und weiß den Weg nicht mehr zurück nach Hause... wie peinlich. Schalte mein Handy ein, um den Weg zu finden…und bin erleichtert, als alles gefunden ist und fahre los. Mit dem Fahren kommt die Erinnerung…aber nicht der Mut, ohne Wegweiser zu fahren, sehr unangenehm -  ich wohne hier nun seit fast 5 Jahren – und nun das…
Mitten in einer Unterhaltung fehlen mir praktisch die Worte, die ich eben noch wusste und weiß sie nicht mehr. Weiß nicht mehr, worum es ging, was das Thema war und was ich eigentlich sagen wollte…sogar die Namen meiner mir gegenüber fallen mir gerade nicht ein und ich benenne nichts, aus Angst, sie falsch zu benennen und halte den Mund.
Ich stehe in der Küche und will kochen, doch mir fällt nicht mehr ein, wie das noch geht. Sachen und Dinge und Namen, die ich jahrelang kenne und wusste, sind verschwunden, nicht mehr da und greifbar für mich.
Ich baue mir Eselsbrücken, um den Alltag durchstehen zu können, schreibe alles auf Zettelchen auf - scheiter jedoch oft. Verabredungen kann ich oftmals nicht einhalten, weil ich nicht mehr kann, erschöpft bin, oftmals ohne Grund einfach Ruhe brauche, mich hinlegen und alleine sein muss – so verliert man „Freunde“…oder solche, die es hätten werden können - unerklärbares und bescheuertes Verhalten für die „Anderen“, die, die es nicht wissen.
Immer erklären zu müssen, warum dies oder jeden gerade nicht so geht, ein „eingeschränkt sein“ in einer „Behinderung übergeht“, ohne erklärlichen Grund.
Ich schäme mich für das, was ich zurzeit in den Händen halte; Scherben meines Lebens, Scherben meines Selbst – ich habe die Kontrolle verloren –
Ich fürchte mich vor vielen Menschen,  fühle mich angestarrt - U-Bahn fahren endet in einer Panikattacke, schwitzend und herzklopfend gehe ich schnell aus dem Bahnhof heraus, ohne eine Chance allein sein zu können, weil überall um mich herum Menschen sind, ich mich unwohl fühle und irgendwie blind. Der Schweiß rennt mir von der Stirn, meine Hände zittern, ich will nur noch weg und kann es nicht, weil die Frau neben mir, sich nun eine Tour durch Hamburg ersehnt, die Stadt kennen lernen will – und ich nur weg.
Es ist mir unangenehm; Tränen laufen mir unbemerkt die Wangen herunter, ich versuche es mit der Sonne zu erklären, die mir in die Augen scheint, trotz Sonnenbrille.
Lebensfähig zu sein ist mein einziger Wunsch.
Wieder leben zu können.
Jeden Tag.
Mit Plänen und Ziele und Wünschen und Träume vor Augen zu haben, Familie, Eltern , Geschwister und Freunde haben, lieben und ertragen zu können – ohne mit dem Wissen verurteilt zu sein, dies alles so nie wieder haben zu können. Dies ist nicht mein Leben, wird es nie wieder sein. Schreiben kann ich plötzlich nicht mehr, so viele Rechtschreibfehler schleichen sich ein, ohne dass ich sie bemerke schreibe ich weiter, Word dankend für die Erkennung dieser -  Scherben meines Lebens in den Händen haltend, die meine Hände blutend machen, so dass ich endlich wieder etwas spüren – etwas leben kann. Ich habe keine Narben von bewussten Verletzungen, ritze mich nicht und schneide mich nicht, ich habe kein selbstverletzendes Verhalten. Es erreicht mich nur nichts mehr und das einzige, was mich am Leben hält, ist die Verantwortung.
Und selbst die wird mir oftmals schwer, dabei liebe ich sie so sehr und würde für sie sterben, dabei muss ich für sie leben, jeden Tag, egal wie schwer das auch sein mag.
Und weiß dann, dass die Worte „ich kann nicht mehr“ so viel mehr Echo haben, als Bedeutung…
Ich kann nicht mehr haucht einem Menschen kein Leben mehr ein, weil der tot sich schon irgendwie breit gemacht hat, auch wenn er atmet, fühlt er nicht.
Eine endlose Reise des Ertragen müssens, mit Existenzängsten gepaart, als hätten man nicht schon genug Ängste in seinem Leben ertragen und haben müssen.
Nun kommen Menschen daher, die einen begutachten müssen. Die oftmals Geschichten wie meine lesen, empathisches Mitgefühl empfinden, aber nicht wissen, wie es ist mit so einer Pein leben und jeden Tag wieder aufstehen zu müssen. Beurteile bitte dieses Leben, was meines ist, aber kein Leben mehr ist; eigentlich. Für die Rente hatte ich 4 Monate; die Rentenversicherung sah es und gab sie mir: Erwerbsminderung , sogar auf Dauer  - ohne weiter nachzufragen - mit knapp 40 Jahren – das war für mich kaum zu ertragen, war es doch auf dem Papier festgehalten, ich kann dieses Leben als Leben nicht mehr leben, weil meine Beeinträchtigungen zu beeinträchtigend sind…um normal weiter arbeiten gehen zu können…und alles nur, weil mir 10 Jahre genommen wurden, als Jugendliche und als kleines Kind, die Zeit von sechs bis achtzehn blieb irgendwie steh´n..und ich war dann auch nicht mehr zu sehen…
Oder wie kann man etwas beurteilen, was gar nicht ist!? Und jedes einzelne Hindernis an Behinderung wird mit einem anderen zusammen getan, weil sonst das Gutachten nämlich keines mehr ist und nur noch eine Reihe schlimmer Umstände einer langen und unaufhaltsamen Liste erhört, für die es kein Urteil gibt, außer das, das es kein Leben ist für ein Leben, was quasi schon zu Ende ist… bitte, sieh genau hin: es ist so viel an Emotionen und Pein und Angst – also nimm mir doch bitte diese Angst der Existenz und gib mir die ganzen 100 Prozent, so dass ich mich um diese nicht mehr sorgen muss, es nicht mehr mit 100 Euro am 15ten bis zum Ende des Monats reichen muß…ich mich beim Einkaufen nicht mehr wie ein Bettler fühlen muß…
Ich kann nicht mehr arbeiten gehen. Nicht weil ich nicht mehr will, sondern weil das „nicht können“ mir meine eigenen Grenzen und die facettenreichen Fratzen aufzeigt, die kaum auszuhalten sind. Nicht ertragbar sind. Nicht leb bar.
Ich verdiene kein Geld mehr.
Ich bin zu Hause.
Nicht mehr gesellschaftsfähig.
Erwerbsgemindert. Vollständig. auf Dauer und für immer.
Beeinträchtigt.
Behindert!?
Ich bin ...
bin ich eigentlich!?
Eigentlich doch nicht.
Irgendwie bin ich auf der Flucht. Vor mir selber. Diesem Leben. Dem Aufstehend und Weggehen, dem Einkaufen und meinen Kontostand sehen… ich habe kein Einkommen – Existenzangst überleben und bestehen, jeden Tag auf s Neue – dabei habe ich so gekämpft, um ein Leben zu haben… was „vorzeigen“ zu können, was „ in der Hand“ zu haben, für meine Kinder, für alle..und für mich, irgendwie zumindest…
Und nun stehe ich da, habe nichts. Kein Einkommen, Kein Auskommen. Bin krank, irgendwie. Normalität nicht erreichbar für mich. Unerklärbar für Nicht Betroffene, oftmals sogar unerklärbar für mich.
Ich krieg es nicht hin, das Telefon zu nehmen und jemanden anzurufen, Anrufe ertrage ich oftmals nicht – telefonieren geht nur selten.
Ich habe Angst. Angst, dass ich vergesse, mit wem ich gerade telefoniere. Angst, dass ich vergesse, worum es bei diesem Telefonat geht und Angst, dass ich vergesse, worum es gerade geht oder wen ich überhaupt gerade anrief. Lustig, oder!? Habe es gerade doppelt geschrieben und es nicht bemerkt, na ja, ich lasse es nun so stehen – vielleicht vergesse ich ja diesen Schmerz…
Selbst raus gehen und spazieren gehen ist oftmals schlimm, weil ich lieber auch dabei alleine sein will. Unsichtbar sein wäre es dann…einfacher für mich.
Mein Leben. Oder zumindest das, was übrig geblieben ist. Lohnt sich nicht.
Ich bin müde und erschöpft. So müde, will nur noch schlafen und lege  mich in mein Bett. Versuche zu schlafen; drifte langsam weg…diese Gedanken, die mich nicht schlafen lassen, immer wieder kommen, wieder leben zu schaffen. Ich will Normalität, normal sein, so ganz für mich und natürlich für meine Kinder. In den Urlaub fahren. Normal einkaufen gehen und Rechnungen bezahlen…arbeiten gehen und Freunde haben, nicht vergessen, dass ich mich mit ihnen verabredet habe. Oder abzusagen, weil ich nicht kann, 10 Minuten vor dem Treffen…
Ich halte mich aufrecht, weil ich es muß.
Meine Kinder halten mich aufrecht, sie sind mein Anker, halten mich hier und jetzt am Leben – auch wenn ich dies nicht mehr so bezeichnen mag.
Briefe schreiben wird zur Qual, jedes Öffnen des Briefkastens lässt mich hoffen, dass es nicht etwas ist, wo ich drauf antworten muß. Und bin erleichtet, wenn ich ihn schließe und nichts geschrieben werden muß.
Mich erreicht Fröhlichkeit nicht mehr, Freude…glücklich sein – das Leben tagtäglich zu leben überfordert mich  und hält dies alles zurück. Ich kann es nicht empfinden, wenn ich doch Angst habe zu fühlen. Nähe zu Anderen ertrage ich kaum, fühle mich dann eingesperrt, auch in einem freien Raum.
Erkenne mich oftmals nicht wieder und will mein altes Leben wieder, wo ich noch dachte, ich kann und werde alles schaffen, wo ich fröhlich war und lachen konnte – auch wenn in mir die Atombombe tickte, unhörbar für mich,  leise, zum Endpunkt hin tickte…
Mein Atmen fällt mir oftmals schwer, Asthma, ohne Grund - ich fühle mich wie ein Hypochonder…ich habe Schmerzen, ohne das was zu finden ist. Kann mich kaum bewegen, wenn ich mein Schmerzpflaster vergesse, was ich seit nun fast 7 Monaten nehme. Ich bin nicht mehr ich, weiß aber auch nicht, ob ich das jemals war.
Kann wieder nicht schlafen. Und bin doch so müde, von diesem ganzen Scheiß in meinem Leben. Gib mir einen anderen Körper, ein anderes Leben, dieses hier will ich nicht mehr. Ertrage es einfach nicht mehr, es ist ein Weg ohne Wiederkehr.
Ich möchte mal Liebe leben und fühlen, einfach so und ohne Grund. Ich will in den Arm genommen werden, ohne das ich Angst habe, verletzt und dann wieder verlassen zu werden.
Ich möchte an einem Tisch mitten im Raum sitzen können, ohne Angst zu haben, dass hinter mir was passiert, was mir schaden kann, wie ich es nicht sehen kann.
Ich will einfach mal was kaufen können, ohne daran zu denken, dass ich in 5 Tagen davon noch Essen kaufen und kochen muß.
Ich will schwimmen gehen, ohne mich dafür zu schämen, wie mein Körper durch meine Schilddrüse aus der Form gerutscht ist. Ohne angestarrt zu werden.
Ich möchte wieder was sagen  und es einhalten können, Termine machen und einhalten können. Telefonieren können ohne Angst.
Ich will Leben und leben können, ohne Angst, weil ich es nicht kann.
Ich will wieder „ich will“ sagen können, ohne meine eigenen Grenzen mit „Ich kann es nicht“ bewerten, benennen zu müssen.

Leben. Frei und ohne Angst. Normal sein. Lieben. Glücklich sein – 

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