Jemand sagte mal zu mir, erzähle mir
von deinem Leben,
aber nicht den „typischen
Lebenslaufteil“, sondern den privaten
Teil, den keiner kennt, das, was du erlebt hast, was nirgendswo geschrieben
steht.
Und ich sah die Person an und wusste
nicht, was erzähle ich? Ist es der Lebenslauf,
der mich ausmacht? Was bleibt, ohne
dies zu erwähnen!? Was gibt es über mich
zu erzählen? fragte ich und schaute sie
an…
„Erzähle mir einfach von
deinem Leben“
„Was gibt es da zu erzählen? Ich habe versucht
zu leben…eins aufzubauen, weiter
zu kommen, zu lernen, um nicht stehen zu
bleiben, ich wollte so viel sehen und erleben…
ich
habe gedacht, ich muss mehr wissen, damit
mir weniger passiert, passieren
kann…
ich wollte frei sein, vom inneren
zerrissen sein, zwischen Wahrheit und
Verstand“ ich stockte…
das war mir bis
gerade eben noch nie so klar gewesen und
ich fuhr fort:
„Ich hatte immer Sehnsucht nach Leben
und normal sein, wie andere leben können…Und
ich wollte nicht wie meine
„Mutter“ sein, eine Hure, die ihre Kinder
missachtet, misshandelt und verkauft, damit
es ihr selber gut geht, sie schön in
Gold gebettet ist, dabei aber immer ihre
Kinder total vergisst, die zu Hause waren,
Hunger hatten, Kleidung und Hilfe und Anleitung und eigentlich so viel Liebe
zum Leben sowie eine Mutter brauchten,
weil die unsere keine war! Immer nach
außen aufs Schön-sein aus und sich selber
jeden Vorteil verschafft: ein Narzisst wie
er im Buche steht, immer nur auf sich bedacht!“
Ich stand auf und lehnte mich an die Wand
und schaute sie weiterhin an, so genau
darüber nachzudenken, strengt an und ich
konnte nicht mehr still sitzen.
„Ich höre
zu, erzähle weiter!“
Ich nickte, trank etwas
und sagte:
„Ich wollte frei sein, von den komischen
Erinnerungen an ein „zu Hause“, was nie
so war, warm war es nur bei Oma und Opa, wofür ich so unendlich dankbar war
und bin – ich habe mir eine Familie gewünscht,
nahm Abstand von meiner, verabschiedete
mich von Tabus und Unfreiheit,
sagte die Wahrheit, verabschiedete
mich von Liebe, wenn es meiner inneren
Freiheit und meiner Vorstellung von einer
freien Liebe nicht entsprach, auch wenn
ich noch so liebte
– ich erzog meine Kinder,
erkannte an ihnen, wie es ist, Kind zu
sein, aufzuwachsen ohne Angst vor physischer
und psychischer Gewalt, immer mit
Angst gepaart, auf Überleben abgestimmt…sie
konnten lachen, alles erzählen,
sich entwickeln (das zu sehen, war
und ist so schön!), waren frei und jeder
von ihnen entfaltete sich zu dem schönsten
Schmetterling! Sie sind das Beste in meinem Leben! Und wenn ich vielleicht
nichts mehr weiß, ABER eins weiß ich
ganz genau: sie sind von allem Negativen
völlig frei, haben keine Angst zu leben!“
Mir liefen Tränen herunter und ich lachte
verlegen, „Entschuldige“, sagte ich und sie
nahm mich nur in den Arm, drückte mich
fest und gab mir ein Taschentuch, eins behielt
sie für sich, ihre Augen weinten
auch… „ich bin so froh darüber“, sagte ich
und schaute sie an.
„Ich kann dir von mir nicht so viel erzählen,
weil ich nichts mehr weiß, ich erinnere
mich an Schuljahre…und an wenige
Szenen im privaten Bereich, das waren
und sind aber keine schönen, nur wenige
schöne sind dabei…etwas, wie ich auf dem Schiff vorne am Bug sitze, das Schiff
vom Wind ganz leicht dahin geschubst
wird, das Wasser zerteilt, die Gischt und
der Wind mir bis ins Gesicht spritzte, jede
Welle mitnahm und mir zeigte, wie schön
es sein kann, zu fliegen… ich ließ mich da
treiben, träumte von einem besseren Leben,
von endlich 18 und erwachsen sein!
Wollte nur weg, alleine und frei von diesem
ganzen Druck und endlich mal ohne
Angst sein...die kannte ich schon seit so
langer Zeit, war ein Teil von mir, bestimmte
mein damaliges Leben: 10 Jahre
wurden mir geklaut, die fehlen mir im Leben,
Zeit und Entwicklung und Erinnerung
verbaut, durch die gewaltvollen
Misshandlungen und dem sexuellen Missbrauch und den Vergewaltigungen in meinem
Leben!
Irgendwann erkannte ich, ein Wegrennen
gibt es davon nicht, sie sind ein ständiger
Begleiter in meinem Leben, jahrelang nur
in einem Bereich geparkt, den ich nicht
berührte, erinnerte nichts, spürte aber auch
mich eigentlich nicht…kam an nichts richtig
dran.
Dann 2007 roch ich ARAMIS, ein Eau de
Toilette…und es traf mich in der Dortmunder
City, mit dem Baseballschläger
direkt auf dem Kopf, ich versank, wurde
klein und hatte wieder Angst, Panik – ich
war stumm, schaute rum, erkannte nichts,
auch nicht mehr mich – dies verhinderte
dann wieder das Leben…seitdem Erinnerungsschübe, Krankheiten, physische und
psychische Reaktionen, diagnoselose
Schmerzen und schlaflose Nächte, wie seit
immer schon. Schlafen, mal ganz in Ruhe
und ausgeruht…kenne ich nicht und wäre
mal wirklich schön!“
Sie nahm meine
Hand, drückte sie und ich setze mich wieder…
„Weißt du, Ruhe und Frieden gibt es irgendwie
nicht, wenn man mit solchen Erinnerungen
lebt, die einem Jahre später
noch die Panik und die Angst eintreiben,
die so wohl bekannt ist, fast wie ein Vater
ist, immer mit allem erkannt und vor allem,
überraschend wieder da ist, immer
wieder als solche erkannt! Er nimmt meine
Hand und führt mich wieder auf alte Wege, meist, wenn ich mal etwas schlafen
kann…und zeigt mir, was ich nicht mehr
weiß, zeigt mir, wie es war und ich betrachte
mich aus einer Entfernung, die
nicht sicher ist…bin dann wieder da und
bin dann wieder ich, in einer alten Zeit,
die niemals sicher war, ich nicht geschützt
und beachtet war, außer ich wurde gebraucht,
um fremde Befriedigung auszulösen, in jeder Hinsicht dem Leben entraubt!
Wie ein Schatten lauert es oftmals in jeder
Ecke, alles kann ein Auslöser sein, immer
bereit zum Sprung, um mich zu packen,
mir zu zeigen, du bist nicht frei: ICH BIN
DEINE ERINNERUNG!
…so lebe ich, das bin ich und eine Umgehensweise
erlerne ich, irgendwie und immer wieder neu! Eine Anleitung gibt es
dafür leider nicht!“ Ich musste lachen…
„Wenn Betroffene einfach offener reden
würden, ohne Scham vor dem, was ihnen
passiert ist, gäbe es einen Weg auch für
andere. Aber dieses Tabu..
“ ich schüttelte
den Kopf und erzählte weiter:
„NUN versuche ich zu leben, mit dem
Wissen, dass alles wahr ist, meiner Wahrnehmung
von damals, die der Wahrheit
entspricht, nicht mehr beraubt und einfach
ehrlich ist, ich einfach so bin wie ich bin,
auch ohne Kindheit und Jugend.
Die damaligen Beeinträchtigungen bestimmten
heute mein physisches und psychisches
Leben, dem musste ich mich stellen,
das fiel mir schwer, ich wollte mich niemand mehr unterordnen – auch nicht
mir selber!
Ich versuche Ruhe zu leben, Frieden zu
spüren, mich kennen zu lernen, Bedürfnisse
zu fühlen, das Leben mal zu genießen…es
fällt mir oftmals noch schwer, ich werde
aber besser darin, einfach nur zu leben.
Mittlerweile kann ich das, Auszeiten nehmen
und genießen, kann zur Ruhe kommen,
fühle mich nicht mehr gehetzt, sondern
immer mehr angekommen und ich
erkenne immer mehr einen Weg, obwohl
ich nicht weiß, ob dies meiner ist.“ Ich
grinste sie an. „Aber ich denke, solange
ich authentisch bin, ehrlich zu mir selber
und weiter versuche meine Grenzen zu
fühlen, wird es gehen. Ich muss halt ganz von vorne anfangen, wieder Vorstellungen
entwickeln von dem, was ich will,
kann…und ich brauche zurzeit einfach
immer noch und immer wieder Ruhe und
Zeit auszuruhen, bei mir zu sein, um nicht
wieder zurück in Erschöpfung zu kommen.
Zu entschleunigen und sein Leben
quasi wieder auf „Anfang“ zu stellen, ist
schwer und wie es weiter geht ..weiß ich
so gerade nicht. Irgendwie geht es nur von
Tag zu Tag…
MEHR weiß ich gerade nicht zu erzählen“
…
Ich setze mich anders hin, schaute sie an
und sie sagte:“ Mel, danke dir, es ist schön
zu wissen, dass ich dich nun so kenne, wie
kaum jemand.
Soll ich dir von mir erzählen?“ Ich nickte,
schüttete uns noch Wasser ein und sagte:“Sehr
gerne. Ich will dich auch kennen
lernen.“
Und sie begann zu erzählen...
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