gebrochene Flügel
Ich ziehe
mich mit letzter Mühe Schutz suchend unter einen Baum, halte meine sonst so farbenfrohen
Flügel
mit
schmerzverzerrtem Gesicht feste bei mir; sie sind völlig verschmutzt, dreckig;
die wunderschönen Farben total beschmutzt!
Ich kann
nicht mehr fliegen, bin abgestürzt, so tief…
und so feste
auf dem Boden aufgeschlagen,
dass alles
in mir wie betäubt, zerbrochen ist. Wo bin ich!?
Nach Hilfe
rufen, bringt mir nichts -
es wäre
keiner da, der meine stummen Schreie hören würde -
ich kenne
keine Worte mehr. Ich bin verstummt.
Wie betäubt
sitze ich unter dem schützenden Baum und lehne mich an den dicken, alten Stamm…
er stützt meine kaputten Knochen, meinen kaputten Körper gerade so, dass ich
nicht weiter zu Boden sinke.
… ich bin
innerlich zerbrochen.
Ich bin vom
Weg abgekommen, verloren im Nirgendwo.
Weiß ich
nicht, wo ich gerade bin.
Ich versuche meine Flügel zu bewegen, doch auch
sie bleiben ungewöhnlich stumm.
Ich habe
keine Möglichkeit, dieser Situation zu entkommen…ohne fliegen zu können!
Der Sturm
wütet weiter, ich kann ihn heulen hören!
Der Regen
peitscht weiter um mich, um diesen alten Baum herum, schnelle und helle Blitze
zucken am Himmelszelt, der Donner grollt hier und dort und überall - ich sehe
nichts, so dunkel ist es um mich herum, lehne mich an den Baum, lasse die wartenden
Tränen weinen.
Es sieht
mich keiner
und ich sehe
niemanden,
bin alleine.
Tief
getroffen durch diesen Absturz weiß ich nichts mehr. Ich weiß nicht, wo ich
bin. Wie ich fort kommen soll - ich kann nicht mehr fliegen…
Seit Tagen
dauert das Gewitter an, der Regen wird mein Durstlöscher … säubert mich sogar
etwas von dem ganzen Dreck und Matsch auf mir.
So gut es
geht, versuche ich mich aufzurichten… ganz langsam geht es, trotz so starker
Schmerzen. Ich sehe den Ast über mir…und zweifel daran, dass ich den jemals erreichen
kann! Mein Selbstwert ist dahin… zusammen mit meinem Fluginstinkt. Ich setze
mich wieder hin und versuche es später wieder...und achte ängstlich auf die
Gefahren der wilden Tiere um mich herum. Ich bin ein Kind des Waldes, aber am
Boden ist es gefährlich, sogar für mich!
Wieder ein
paar Tage später habe ich es geschafft, ein in der Nähe liegender, kaputter Ast
half mir hinauf in die Sicherheit des Baumes, auch wenn es nur der erste starke
Ast des Baumes ist, sitze ich nun sicherer, als auf dem Boden. Ich werde auch
nicht mehr nass und ganz langsam, wärmen sich meine Glieder. Ich spüre immer
noch nichts, die Sonne blendet meine Augen, mein Kopf tut weh´ - immer noch
erkenne ich keine Richtung, keinen Weg, sehe niemanden.
Aber es
fühlt sich nun etwas besser an, auch wenn es noch sehr schmerzt. Ich schäme
mich, weil ich abgestützt bin. Wie soll ich den anderen je wieder unter die
Augen treten!? NIEMAND stürzt ab - alle fliegen und schaffen den Alltag, ihre
Arbeit und unterstützen den Staat!
Ich schließe
die Augen und versuche erneut, die Flügel zu bewegen, wenn auch unter starken
Schmerzen, geht es nun… ganz langsam breite ich sie aus - sie sind gebrochen
vom Sturz, der Riss ist gut zu erkenne, wenn er auch langsam heilt… wie lange
muss ich hier noch bleiben, frage ich mich und sehe nicht die Sonne, die
langsam über den Himmel kriecht, auch deren Wärme erreicht mich nicht. Die
großen Blätter des Baumes bedecken mich…
Wieder ein
paar Tage später versuche ich noch höher zu kommen, langsam und vorsichtig
merke ich, dass mein Kopf nicht mehr
schmerzt, ich auch meine Arme wieder bewegen kann und drücke mich langsam, Ast
für Ast höher hinauf, näher zur Krone des Baumes hin… es wird luftiger, Dreck
fällt von meinen Flügeln, meinem Körper…ganz langsam erkennt man wieder die,
die in mir ist - und ich sehe, dass vor
mir plötzlich die Vögel sitzen…bunt zwitschernd und emsig plaudernd mit ihren
Freunden fliegen sie von Ast zu Ast - wieso habe ich sie vorher nicht bemerkt!?
ich will auch wieder fliegen, denke ich und setze mich, lehne mich an den Baum
und sehe ihnen bewundernd und neidisch zu. Nanu, denke ich, wie furchtbar! Ich
bin neidisch… so was kenne ich von mir gar nicht. Verwundert schüttel ich
langsam den Kopf, ich und neidisch… und wieder geht mein Blick zu den
prächtigen und zwitschernden kleinen Tierchen über mir… Stunden später werde ich wach und wunder
mich, dass ich das erste Mal seit Tagen richtig geschlafen habe… es fühlt sich
gut an, wunderbar und frisch - und nun
merke ich, dass ich die Sonne auf mir spüre!
Es ist warm,
ach, wie schön das ist - und wie sehr
habe ich das vermisst!
Ich freue
mich, auch dieses Gefühl habe ich vermisst. Die Dunkelheit spüre ich nicht mehr
und wieder versuche ich meine Flügel zu strecken - es geht und ich strecke sie
ganz weit von mir, bewege sie ganz langsam und stelle fest, ich höre sie
wieder! Leise flüstern sie mit dem Wind, wollen wieder fliegen - doch die Angst
wieder zu fallen lähmt die Freude des Moments und ich lehne mich wieder an den
sicheren Schutz des Baumes an… Irgendwas hat sich verändert, ich bin anders -
nicht mehr so frei.
Und ich habe
Angst!
Das hatte
ich noch nie - nie konnte es hoch genug, nie wild genug sein - bei allen Sachen
war ich stets dabei… UND nun, nun habe ich Angst abzuheben, eine normale
Bewegung zu machen, einfach nur zu fliegen… Tränen liefen meinem Gesicht
hinunter, sie wollten gar nicht mehr versiegen …
Ich blieb
weiter sitzen in der Baumeskrone, sah den anderen Fliegern zu - sah aber
niemanden von meiner Art. Sie sind wohl alle weiter geflogen, niemand hat auf
mich geachtet… ob sie mich vermissen werden? …
Ein paar
Tage später, ziehe ich mich wieder einmal nach ganz oben, so wie jeden Tag in
den vergangenen drei Wochen.
Ich spüre
den Wind um mich herum, wie er mich tragen will, mir zu flüstert, nun komm… Wie
automatisch breiten sich meine Flügel aus und ich muss feststellen, dass sie
ganz anders aussehen, als zuvor, sie viel bunter, farbenfroher sind und
glitzern in der Sonne - wo kommt das nun her? frage ich mich perplex. Ich sehe
nach oben und der Drang einfach zu springen überkommt mich so plötzlich, dass
ich erschrecke und lachen muss… okay. Ich versuche es… und ein langer Seufzer
entfährt mir. Meine Stimme ist langsam wieder da, okay, dann JETZT und atme
tief ein… ich stelle mich hin, breite die Flügel nun vollständig aus und stoße
mich ab - und falle!
Ich habe
Angst und sehe den Boden rasend schnell auf mich zu kommen und plötzlich weiß
ich, ich will nicht mehr auf dem Boden liegen! Erinnere mich, wie es ist zu
fliegen und beginne zu fliegen, ich spüre den Wind, der mich trägt und meine
Flügel, die mich höher tragen… ich sehe den Baum unter mir, rufe ihn meinen
Dank zu! Ich erkenne keinen Weg, dieser Ort ist mir völligst unbekannt - und
habe das Gefühl, Angst und Erregung kommen auf, habe aber dann die Erkenntnis!
Ich suche einen neuen Weg für mich, meinen eigenen, nur für mich!
Ich freue
mich, fliege hoch und höher, merke zwar, dass ich noch schwach bin - aber ich
weiß nun, dass ich es noch kann! Ich KANN wieder fliegen, auch wenn meine
Knochen noch nicht völligst ausgeheilt sind, ich noch Schonung brauche,
vielleicht Angst habe vor dem, was kommt, ich nun ganz anders bin...
Aber nun
weiß ich, dieser Sturz machte Sinn -
und ich
merke nun, dass UND wie sehr ich doch am Leben bin!
Und ziehe
meine Kreise, hoch und höher hinauf, um meine eigene Freiheit und die Wärme der
Sonne zu spüren!
Ich gebe
nicht mehr auf!
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