Sonntag, 6. Januar 2019

Es war nicht nur einer!


Es war nicht nur einer

Wenn ich darüber berichte, dass ich missbraucht wurde, erzähle ich meistens nur von dem Mann, der mich über einem Zeitraum von zehn Jahren in meiner Kindheit und Jugend in jeder erdenklichen Weise missbraucht hat und mit dem meine Mutter zusammen war; insofern jederzeit „Zugriff“ auf mich hatte – allerdings erlebte ich nicht nur Übergriffe von ihm.

Das erste Mal in meinem Leben wurde ich mit ca. vier Jahren zwischen den Beinen gestreichelt, durch die Strumpfhose hindurch von dem Vater der Freundin meiner Mutter. Er nahm mich in den Arm nach der Begrüßung und hielt mich feste, so dass ich mit dem Rücken zu ihm stand, während er auf einem Sessel saß. Dann nahm er mit dem rechten Arm mich quasi in den Arm und ging mir aber mit seiner rechten Hand in meinen Intimbereich und streichelte mich da mit seinen Fingern. Ich weiß, dass ich mich sehr unwohl fühlte, nicht wusste, was mir da so geschah und meine Mutter mit den Augen suchte, sie mich aber wohl nicht sah. Wir waren einige Male bei diesem Mann, der – wie ich erst viele Jahre später erfuhr – die beste Freundin meiner Mutter sowie deren Schwestern über Jahre missbraucht hat.

Zu diesem Zeitpunkt gab es für mich nicht sehr viel „schlimmes“ und ich mochte es ganz und gar nicht, dahin zu gehen.

Genau diese Berührung habe ich ebenfalls von dem Stiefvater meines Opas erfahren, den wir damals ebenfalls nur selten besuchten, aber er hielt mich auf die gleiche Art und Weise feste und streichelte mich durch die Strumpfhose hindurch feste im Intimbereich. Da meine Mutter „Mädchensachen“ liebte, war ich auch genau so immer angezogen: Lackschuhe, Strumpfhose und irgendwelche Kleidchen…Ich habe es gehasst, wenn sie mich so anzog, da nicht nur diese Lackschuhe immer rutschig waren, sondern auch ich das Gefühl hatte, immer die Blicke von Männern auf mich zog, dies merkte ich schon sehr früh.
NIEMAND aus meiner Urspungsfamilie hat mich je „komisch“ berührt, nur immer Männer, die „hinzu“ gekommen sind oder in der Nähe wohnten - ich denke, das ist wichtig, das mal zu sagen.
Als ich später erfuhr, dass mein Uropa gar nicht mein richtiger Opa war, war ich sehr erleichtert darüber, dass zwischen uns keine biologische Verwandtschaft bestand UND er nicht der Vater meines Opas war – dieser Zusammenhang zwischen diesen Männern fühlte sich immer komisch an für mich. Mein Opa war viel Vater für mich und hat mir viel beigebracht, dafür bin ich sehr dankbar!
Neben diesen beiden „alten“ Männern erfuhr ich aber noch sehr früh weiter, dass „Männern“ nahe zu sein nicht immer gut war.
Ein Nachbar (Herr Baumgardt) von gegenüber, die ein Haus hatten mit Pool, lud meinen Bruder und mich mal zum Schwimmen ein und wir beide freuten uns darüber und gingen dahin. Ich denke, ich muss so zwölf dreizehn gewesen sein, weil ich zu diesem Zeitpunkt schon einen Bikini hatte und aufgrund meiner schon sehr früh wachsenden Brust diesen auch ausfüllte…
Während dessen mein Bruder und ich im Wasser planschten, kam dieser Mann zu uns ins Wasser und spritzte und nass, dann plötzlich nahm er mich in den Arm und rieb sich an mir, unauffällig, meinem Bruder weiter mit Wasser anspitzend. Ich fühlte mich sehr unwohl, wusste nicht, was mache ich nun, wie verhalte ich mich und bilde ich mir das gerade hier ein!?
Nach einer Weile ließ er mich immer wieder los, umfasste dabei aber immer einen meiner Brüste und rieb sich an mir; dies wiederholte er noch einige Male. Plötzlich stand seine Frau in der Tür und sie sagte, was ist den hier los? Tut mir leid Kinder, ihr müsst leider gehen – wir bekommen bald Besuch, sagte sie dann und ich war erleichtert, einen Grund zu haben, um gehen zu können.

Davon habe ich nie jemanden erzählt, wie hätte mir jemand glauben sollen – meine Mutter?!

Von da ab vermeid ich es, wieder zu diesem Mann ins Haus zu gehen - babysittete aber manchmal die Enkel, ohne alleine mit dem Opa der Mädchen zu sein. Ich ging mit ihnen zum Spielplatz.

Heute denke ich oft daran, dass er nicht nur eine Tochter hatte, sondern auch noch vier Enkeltöchter und eine Nichte, die möglicherweise alle von ihm grenzüberschreitendes Verhalten erfahren haben und es tut mir sehr leid, dass ich damals nichts machen konnte… fünf Mädchen… und mir tut das Herz weh´, weiter zu denken… und ich weiß, ich war ein Kind, trotzdem schmerze ich innerlich, wenn ich daran denke, was da eventuell gewesen ist…

Immer wieder wurde ich von Männern verschiedener Altersstufen angesprochen und auch angemacht (auch eindeutige Angebote von angeheirateten Männern aus der Familie!), vor allem, weil mein Busen immer größer wurde und ich auch – wenn ich Fotos sehe – ganz gut aussah und schlank war. Damals wusste ich das nicht, weil meine Mutter alles dafür tat, dies so weder zu fühlen noch zu sehen und mir immer Sachen kaufte, die zu klein waren oder schäbig aussahen… insofern bekam ich des Öfteren Sachen geschenkt von Bekannten, Nachbarn oder ihren Freunden -  was sie gut fand, weil es Geld sparte. Auch gab sie mir ihre Klamotten, die ich dann anziehen sollte, die sehr figurbetont waren und ich war der Ansicht, das Frauen so was einfach anziehen, um sich sexy zu kleiden. Dabei fühlte ich mich immer in Jeans und Shirt und Turnschuhen viel wohler…

Je älter ich wurde, desto mehr merkte ich, wie Männer auf Brüste abfahren, wie es sie geil machte, diese zu sehen und nur DAS sehen - und vor allem auch berühren - zu wollen. Da ich zu diesem Zeitpunkt bereits Doppel D hatte und diese Brüste in keinster Weise zu verstecken oder kaschieren waren, erlebte ich dies sehr oft.

Ebenso war es so, dass ich unbewusst auf der Suche nach „geliebt werden“ war, ohne gleich an Sex etc. zu denken, einfach sich geliebt fühlen war mein unbewusster Wunsch, ggf. einfach einen „festen Freund“ zu haben – demzufolge tappte ich oft in so eine „Ich finde dich toll“ Falle und ließ mich auf junge oder auch ältere Männer ein, es gab da keinen Unterschied.

Das heißt nun nicht, dass ich jeden Tag mit irgendwelchen Männern Sex hatte oder mich verkauft habe, sondern dass ich ca. zwei bis viermal im Jahr (ich glaube, das war ein Zeitraum von ca. drei Jahre) jemanden kennen lernte, den ich sympathisch fand und wo ich dachte, „der ist toll“. Als dann aber Sex dazu kam, ernüchterte ich sofort, weil es nicht meins war, ich mich jedes Mal benutzt oder dreckig fühlte und danach jedes Mal stundenlang duschen musste, abgesehen von den starken Schmerzen beim Sex und danach, die ich jedes Mal kaum aushalten konnte. Und trotzdem dachte ich jedes Mal, es wird bestimmt nun besser werden, ich kann das, ich kann Sex haben…
Das letzte Mal (mit 21 Jahren) habe ich sogar jemanden mit nach Hause in meine erste Wohnung genommen, weil er seinen letzten Zug verpasst hat (ja, ich weiß, total blöd von mir!), er mir leid tat und ich ihn mochte. Blöderweise dachte er, das wäre eine Einladung zum Sex, ich irgendwie nicht… und ich habe mit ihm geknutscht, was noch nett war, als er dann zudringlich wurde, wollte ich das nicht und sagte das auch, interessierte ihn aber nicht und als er mich dann festhielt, reagierte ich, wie ich es kannte, mein „ich“ schaltete sich weg und aus und ich machte das, was ich so gut erlernt habe, ich befriedigte diesen Mann, der mich nahm.
Das war das letzte Mal, dass ich einen „ONE NIGTT STAND“ hatte – ich hatte genug von Männern und diesen Sex, der immer eklig war und mich schäbig und dreckig fühlen ließ. 

Looking for LOVE in all the wrong places… 

Und immer wieder merke ich rückblickend, dass mir nicht nur eine vernünftige Anleitung der auch Aufklärung fehlte seitens einer Mutter oder so, sondern auch die zehn Jahre, die mir durch den Missbrauch so genommen wurde. Diese persönliche, sexuelle, psychische und auch innerliche Entwicklung und Erfahrung fehlte komplett, so dass ich mich oftmals sehr dumm und naiv verhielt, ohne es zu bemerken. Ich dachte damals, ich habe die Kontrolle…

Die meisten Männer lernte ich in Diskotheken kennen, wo ich mit Freunden hin ging - was wiederrum sehr selten war, ich bin und war nie ein Party-Typ. Oder auch über Freunde, je nachdem. 

Ich lebte schon sehr zurück gezogen, weil ich damit beschäftigt war, meine Wohnung zu finanzieren, mir eine Zukunft aufzubauen, aber diese Sehnsucht, „geliebt“ zu werden und jemanden „lieben zu dürfen“ war so immens groß, dass ich einfach danach auf der Suche war…

Durch meinen Missbrauch wurde ich so gut und so früh konditioniert, dass ich sofort auf gewissen Verhaltensweisen von Männern reagieren konnte -  so, wie sie es in dem Moment brauchten, um sich gut zu fühlen – bei mir lief dann oft eine Art Automatisierungsprozess ab und ich „machte“, was „erwartet“ wurde; vor allem in den Jahren zwischen achtzehn und zweiundzwanzig.
Ich habe gedacht, es gehörte sich so, dass zu tun, was ein Mann von einem erwartet… tat das dann einfach auch.

Es war wie ein Automatisierungsprozess, der abläuft, sobald ich in gewisser Weise berührt oder zu Beginn auch schon angesehen wurde – wie eine Marionette, die das tut, was ihre Fäden ihr mitteilen… und ich weiß, darin war ich gut. Ich wusste ja genau, wie ich mich zu bewegen, mich zu geben hatte, wie ich anfassen musste, was ich „stöhnen“ musste und „wenn“, um zu befriedigen und zu begeistern und „ihn“ kommen zu lassen“. Während ich dies hier schreibe, könnte ich weinen, es zieht sich meine Kehle zu und ich finde es so schlimm...aber es gibt daran nichts zu beschönigen, genau so war es und habe ich es erlebt und es ist wichtig, dies zu erzählen – weil es so vielen genau SO geht und ich weiß, dass ich damit nicht alleine bin und war.
Rückblickend weiß ich nun, warum wie was ablief, ich gar nicht anders reagieren konnte, als wie ich es habe usw. Aber damals fühlte ich mich so verloren, diese Suche nach sich „geliebt“ fühlen, diese Sehnsucht nach einfach nur mal in den Arm genommen werden, lies so viel zu, weil diese Sehnsucht einfach so erdrückend war.

Looking for LOVE in all the wrong places…



Mit 22 Jahren habe ich dann meine Brust verkleinern lassen, weil ich dieses ständige Anstarren, reduziert werden nur darauf sowie die körperlichen Symptome (ständige Rückenschmerzen durch die Schwere der Brust, die Träger, die sich immer wieder in die Haut der Schulter bohrten usw.) nicht mehr ausgehalten habe. Es wurde in dieser sog. „Mammareduktionsplastik“ je etwas über ein Kilo pro Seite entfernt (Von Doppel D auf C reduziert!) und ich wusste sehr wohl, dass diese OP keine leichte war und auch große Komplikationen barg. Doch das war mir egal und die Sprüche von Frauen und auch den Ärzten, „Du musst nur den richtigen Mann finden, dann magst du auch deine großen, schönen Brüste!“ gaben mir echt den Rest… vor allem, weil ich für diese OP bei ca. sechs Spezialisten war, die alle erst einmal sehen und auch anfassen wollten, wie schwer die Brust war und wie sie aussah…es war widerlich. Der letzte Arzt, Prof. Dr. Walz des Uniklinikums in Essen, wollte das nicht. Er sah mich an und sprach mit mir und als ich mich ausziehen wollte, sagte er, ich soll das nicht machen, das würde am OP-Tag genügen und er wüsste genau, warum ich solche physischen Probleme hätte und unterschrieb die Papiere für die Krankenkasse – ich war dafür so sehr dankbar und hatte Tränen in den Augen und wusste, diesem Mann, diesem Arzt kann ich vertrauen.
Also ließ ich das machen am 16.Dezember 1994 und dies veränderte alles!
Nicht nur, dass ich plötzlich nicht mehr angestarrt oder einfach begrapscht wurde, ich wurde auch viel seltener angesprochen, was meine traurige Annahme bestätigte, dass „alle“ „nur scharf auf große Brüste waren“ und sind und ich nur deswegen angemacht wurde. Das war echt ein Tiefschlag und obwohl es mich erleichterte, war es schwierig, damit umzugehen und zu lernen, wie oft ich darauf reduziert wurde und das mir nun wirklich öfter in die Augen geschaut wurde. Damit umzugehen zu lernen, war echt eine große Sache für mich persönlich, nicht mehr auf Sex reduziert zu werden und als „ich“ gesehen zu werden, war sehr seltsam und sehr ungewohnt.
Für mich persönlich war die Verkleinerung der Brust eine große Erleichterung, ich konnte Sport machen, schöne BH s kaufen, meine Rückenschmerzen wurden weniger und ich fühlte mich besser mit dieser Brust, die mir nun sogar auch gefiel – und vor allem: von niemanden mehr angefasst wurde, wenn ich dies nicht wirklich wollte.
Ich hatte seitdem keinen „One-Night-Stand“ mehr und ich lernte ein paar Monate später den Vater meiner Kinder kennen, mit dem ich drei wundervolle Kinder habe und mit dem ich sieben Jahre verbrachte.

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