Es
war nicht nur einer
Wenn ich darüber berichte, dass ich missbraucht wurde,
erzähle ich meistens nur von dem Mann, der mich über einem Zeitraum von zehn
Jahren in meiner Kindheit und Jugend in jeder erdenklichen Weise missbraucht
hat und mit dem meine Mutter zusammen war; insofern jederzeit „Zugriff“ auf
mich hatte – allerdings erlebte ich nicht nur Übergriffe von ihm.
Das erste Mal in meinem Leben wurde ich mit ca. vier
Jahren zwischen den Beinen gestreichelt, durch die Strumpfhose hindurch von dem
Vater der Freundin meiner Mutter. Er nahm mich in den Arm nach der Begrüßung
und hielt mich feste, so dass ich mit dem Rücken zu ihm stand, während er auf
einem Sessel saß. Dann nahm er mit dem rechten Arm mich quasi in den Arm und
ging mir aber mit seiner rechten Hand in meinen Intimbereich und streichelte
mich da mit seinen Fingern. Ich weiß, dass ich mich sehr unwohl fühlte, nicht wusste,
was mir da so geschah und meine Mutter mit den Augen suchte, sie mich aber wohl
nicht sah. Wir waren einige Male bei diesem Mann, der – wie ich erst viele
Jahre später erfuhr – die beste Freundin meiner Mutter sowie deren Schwestern
über Jahre missbraucht hat.
Zu diesem Zeitpunkt gab es für mich nicht sehr viel „schlimmes“
und ich mochte es ganz und gar nicht, dahin zu gehen.
Genau diese Berührung habe ich ebenfalls von dem
Stiefvater meines Opas erfahren, den wir damals ebenfalls nur selten besuchten,
aber er hielt mich auf die gleiche Art und Weise feste und streichelte mich
durch die Strumpfhose hindurch feste im Intimbereich. Da meine Mutter „Mädchensachen“
liebte, war ich auch genau so immer angezogen: Lackschuhe, Strumpfhose und irgendwelche
Kleidchen…Ich habe es gehasst, wenn sie mich so anzog, da nicht nur diese
Lackschuhe immer rutschig waren, sondern auch ich das Gefühl hatte, immer die
Blicke von Männern auf mich zog, dies merkte ich schon sehr früh.
NIEMAND aus meiner Urspungsfamilie hat mich je „komisch“
berührt, nur immer Männer, die „hinzu“ gekommen sind oder in der Nähe wohnten -
ich denke, das ist wichtig, das mal zu sagen.
Als ich später erfuhr, dass mein Uropa gar nicht mein richtiger
Opa war, war ich sehr erleichtert darüber, dass zwischen uns keine biologische Verwandtschaft
bestand UND er nicht der Vater meines Opas war – dieser Zusammenhang zwischen
diesen Männern fühlte sich immer komisch an für mich. Mein Opa war viel Vater
für mich und hat mir viel beigebracht, dafür bin ich sehr dankbar!
Neben diesen beiden „alten“ Männern erfuhr ich aber
noch sehr früh weiter, dass „Männern“ nahe zu sein nicht immer gut war.
Ein Nachbar (Herr Baumgardt) von gegenüber, die ein
Haus hatten mit Pool, lud meinen Bruder und mich mal zum Schwimmen ein und wir
beide freuten uns darüber und gingen dahin. Ich denke, ich muss so zwölf dreizehn
gewesen sein, weil ich zu diesem Zeitpunkt schon einen Bikini hatte und
aufgrund meiner schon sehr früh wachsenden Brust diesen auch ausfüllte…
Während dessen mein Bruder und ich im Wasser
planschten, kam dieser Mann zu uns ins Wasser und spritzte und nass, dann
plötzlich nahm er mich in den Arm und rieb sich an mir, unauffällig, meinem
Bruder weiter mit Wasser anspitzend. Ich fühlte mich sehr unwohl, wusste nicht,
was mache ich nun, wie verhalte ich mich und bilde ich mir das gerade hier
ein!?
Nach einer Weile ließ er mich immer wieder los,
umfasste dabei aber immer einen meiner Brüste und rieb sich an mir; dies
wiederholte er noch einige Male. Plötzlich stand seine Frau in der Tür und sie
sagte, was ist den hier los? Tut mir leid Kinder, ihr müsst leider gehen – wir bekommen
bald Besuch, sagte sie dann und ich war erleichtert, einen Grund zu haben, um
gehen zu können.
Davon habe ich nie jemanden erzählt, wie hätte mir
jemand glauben sollen – meine Mutter?!
Von da ab vermeid ich es, wieder zu diesem Mann ins Haus
zu gehen - babysittete aber manchmal die Enkel, ohne alleine mit dem Opa der
Mädchen zu sein. Ich ging mit ihnen zum Spielplatz.
Heute denke ich oft daran, dass er nicht nur eine
Tochter hatte, sondern auch noch vier Enkeltöchter und eine Nichte, die
möglicherweise alle von ihm grenzüberschreitendes Verhalten erfahren haben und
es tut mir sehr leid, dass ich damals nichts machen konnte… fünf Mädchen… und
mir tut das Herz weh´, weiter zu denken… und ich weiß, ich war ein Kind,
trotzdem schmerze ich innerlich, wenn ich daran denke, was da eventuell gewesen
ist…
Immer wieder wurde ich von Männern verschiedener
Altersstufen angesprochen und auch angemacht (auch eindeutige Angebote von
angeheirateten Männern aus der Familie!), vor allem, weil mein Busen immer
größer wurde und ich auch – wenn ich Fotos sehe – ganz gut aussah und schlank
war. Damals wusste ich das nicht, weil meine Mutter alles dafür tat, dies so
weder zu fühlen noch zu sehen und mir immer Sachen kaufte, die zu klein waren
oder schäbig aussahen… insofern bekam ich des Öfteren Sachen geschenkt von Bekannten,
Nachbarn oder ihren Freunden - was sie
gut fand, weil es Geld sparte. Auch gab sie mir ihre Klamotten, die ich dann
anziehen sollte, die sehr figurbetont waren und ich war der Ansicht, das Frauen
so was einfach anziehen, um sich sexy zu kleiden. Dabei fühlte ich mich immer
in Jeans und Shirt und Turnschuhen viel wohler…
Je älter ich wurde, desto mehr merkte ich, wie Männer
auf Brüste abfahren, wie es sie geil machte, diese zu sehen und nur DAS sehen -
und vor allem auch berühren - zu wollen. Da ich zu diesem Zeitpunkt bereits Doppel
D hatte und diese Brüste in keinster Weise zu verstecken oder kaschieren waren,
erlebte ich dies sehr oft.
Ebenso war es so, dass ich unbewusst auf der Suche
nach „geliebt werden“ war, ohne gleich an Sex etc. zu denken, einfach sich
geliebt fühlen war mein unbewusster Wunsch, ggf. einfach einen „festen Freund“
zu haben – demzufolge tappte ich oft in so eine „Ich finde dich toll“ Falle und
ließ mich auf junge oder auch ältere Männer ein, es gab da keinen Unterschied.
Das heißt nun nicht, dass ich jeden Tag mit
irgendwelchen Männern Sex hatte oder mich verkauft habe, sondern dass ich ca. zwei
bis viermal im Jahr (ich glaube, das war
ein Zeitraum von ca. drei Jahre) jemanden kennen lernte, den ich
sympathisch fand und wo ich dachte, „der ist toll“. Als dann aber Sex dazu kam,
ernüchterte ich sofort, weil es nicht meins war, ich mich jedes Mal benutzt
oder dreckig fühlte und danach jedes Mal stundenlang duschen musste, abgesehen
von den starken Schmerzen beim Sex und danach, die ich jedes Mal kaum aushalten
konnte. Und trotzdem dachte ich jedes Mal, es wird bestimmt nun besser werden,
ich kann das, ich kann Sex haben…
Das letzte Mal (mit 21 Jahren) habe ich sogar jemanden
mit nach Hause in meine erste Wohnung genommen, weil er seinen letzten Zug
verpasst hat (ja, ich weiß, total blöd von mir!), er mir leid tat und ich ihn
mochte. Blöderweise dachte er, das wäre eine Einladung zum Sex, ich irgendwie
nicht… und ich habe mit ihm geknutscht, was noch nett war, als er dann
zudringlich wurde, wollte ich das nicht und sagte das auch, interessierte ihn
aber nicht und als er mich dann festhielt, reagierte ich, wie ich es kannte,
mein „ich“ schaltete sich weg und aus und ich machte das, was ich so gut erlernt
habe, ich befriedigte diesen Mann, der mich nahm.
Das war das letzte Mal, dass ich einen „ONE NIGTT
STAND“ hatte – ich hatte genug von Männern und diesen Sex, der immer eklig war
und mich schäbig und dreckig fühlen ließ.
Looking for LOVE in all the wrong places…
Und immer wieder merke ich rückblickend, dass mir
nicht nur eine vernünftige Anleitung der auch Aufklärung fehlte seitens einer
Mutter oder so, sondern auch die zehn Jahre, die mir durch den Missbrauch so
genommen wurde. Diese persönliche, sexuelle, psychische und auch innerliche Entwicklung
und Erfahrung fehlte komplett, so dass ich mich oftmals sehr dumm und naiv
verhielt, ohne es zu bemerken. Ich dachte damals, ich habe die Kontrolle…
Die meisten Männer lernte ich in Diskotheken kennen, wo
ich mit Freunden hin ging - was wiederrum sehr selten war, ich bin und war nie
ein Party-Typ. Oder auch über Freunde, je nachdem.
Ich lebte schon sehr zurück gezogen, weil ich damit beschäftigt war,
meine Wohnung zu finanzieren, mir eine Zukunft aufzubauen, aber diese
Sehnsucht, „geliebt“ zu werden und jemanden „lieben zu dürfen“ war so immens
groß, dass ich einfach danach auf der Suche war…
Durch meinen Missbrauch wurde ich so gut und so früh konditioniert,
dass ich sofort auf gewissen Verhaltensweisen von Männern reagieren konnte - so, wie sie es in dem Moment brauchten, um
sich gut zu fühlen – bei mir lief dann oft eine Art Automatisierungsprozess ab
und ich „machte“, was „erwartet“ wurde; vor allem in den Jahren zwischen achtzehn
und zweiundzwanzig.
Ich habe gedacht, es gehörte sich so, dass zu tun, was
ein Mann von einem erwartet… tat das dann einfach auch.
Es war wie ein Automatisierungsprozess, der abläuft,
sobald ich in gewisser Weise berührt oder zu Beginn auch schon angesehen wurde –
wie eine Marionette, die das tut, was ihre Fäden ihr mitteilen… und ich weiß,
darin war ich gut. Ich wusste ja genau, wie ich mich zu bewegen, mich zu geben
hatte, wie ich anfassen musste, was ich „stöhnen“ musste und „wenn“, um zu
befriedigen und zu begeistern und „ihn“ kommen zu lassen“. Während ich dies
hier schreibe, könnte ich weinen, es zieht sich meine Kehle zu und ich finde es
so schlimm...aber es gibt daran nichts zu beschönigen, genau so war es und habe
ich es erlebt und es ist wichtig, dies zu erzählen – weil es so vielen genau SO
geht und ich weiß, dass ich damit nicht alleine bin und war.
Rückblickend weiß ich nun, warum wie was ablief, ich
gar nicht anders reagieren konnte, als wie ich es habe usw. Aber damals fühlte
ich mich so verloren, diese Suche nach sich „geliebt“ fühlen, diese Sehnsucht
nach einfach nur mal in den Arm genommen werden, lies so viel zu, weil diese
Sehnsucht einfach so erdrückend war.
Looking for LOVE in all the wrong places…
Mit 22 Jahren habe ich dann meine Brust verkleinern
lassen, weil ich dieses ständige Anstarren, reduziert werden nur darauf sowie
die körperlichen Symptome (ständige Rückenschmerzen durch die Schwere der
Brust, die Träger, die sich immer wieder in die Haut der Schulter bohrten usw.)
nicht mehr ausgehalten habe. Es wurde in dieser sog. „Mammareduktionsplastik“
je etwas über ein Kilo pro Seite entfernt (Von Doppel D auf C reduziert!) und
ich wusste sehr wohl, dass diese OP keine leichte war und auch große
Komplikationen barg. Doch das war mir egal und die Sprüche von Frauen und auch
den Ärzten, „Du musst nur den richtigen
Mann finden, dann magst du auch deine großen, schönen Brüste!“ gaben mir
echt den Rest… vor allem, weil ich für diese OP bei ca. sechs Spezialisten war,
die alle erst einmal sehen und auch anfassen wollten, wie schwer die Brust war
und wie sie aussah…es war widerlich. Der letzte Arzt, Prof. Dr. Walz des Uniklinikums
in Essen, wollte das nicht. Er sah mich an und sprach mit mir und als ich mich
ausziehen wollte, sagte er, ich soll das nicht machen, das würde am OP-Tag genügen
und er wüsste genau, warum ich solche physischen Probleme hätte und unterschrieb
die Papiere für die Krankenkasse – ich war dafür so sehr dankbar und hatte
Tränen in den Augen und wusste, diesem Mann, diesem Arzt kann ich vertrauen.
Also ließ ich das machen am 16.Dezember 1994 und dies veränderte
alles!
Nicht nur, dass ich plötzlich nicht mehr angestarrt oder
einfach begrapscht wurde, ich wurde auch viel seltener angesprochen, was meine
traurige Annahme bestätigte, dass „alle“ „nur scharf auf große Brüste waren“ und
sind und ich nur deswegen angemacht wurde. Das war echt ein Tiefschlag und
obwohl es mich erleichterte, war es schwierig, damit umzugehen und zu lernen,
wie oft ich darauf reduziert wurde und das mir nun wirklich öfter in die Augen
geschaut wurde. Damit umzugehen zu lernen, war echt eine große Sache für mich
persönlich, nicht mehr auf Sex reduziert zu werden und als „ich“ gesehen zu
werden, war sehr seltsam und sehr ungewohnt.
Für mich persönlich war die Verkleinerung der Brust
eine große Erleichterung, ich konnte Sport machen, schöne BH s kaufen, meine
Rückenschmerzen wurden weniger und ich fühlte mich besser mit dieser Brust, die
mir nun sogar auch gefiel – und vor allem: von niemanden mehr angefasst wurde,
wenn ich dies nicht wirklich wollte.
Ich hatte seitdem keinen „One-Night-Stand“ mehr und
ich lernte ein paar Monate später den Vater meiner Kinder kennen, mit dem ich
drei wundervolle Kinder habe und mit dem ich sieben Jahre verbrachte.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen