Sonntag, 30. April 2017

Schmerzen im Intimbereich

Vulvodynie, Schmerzen im Intimbereich

Von  | 3. August 2013 – 23:22155 Kommentare 253.896 AufrufeDrucken
Bild der Frauenärztin und Künstlerin Hilly Kessler*
Bild der Frauenärztin und Künstlerin Hilly Kessler*
Von Problemen im Intimbereich bleibt kaum eine Frau im Laufe ihres Lebens verschont. Meist kann der Frauenarzt helfen. Was aber, wenn der V-Bereich – also Vulva (Schamlippen, Kitzler und Bereich um den Scheideneingang) und Vagina (Scheide) – schmerzt, und die Schmerzen nicht mehr aufhören oder immer wiederkehren? Dann könnte es sich um eine Vulvodynie handeln. Während in den USA bereits starke Patientenorganisationen für die Bekanntheit und Erforschung deses Krankheitsbildes sorgen, stehen in Deutschland noch viele Ärzte hilflos vor der chronischen Schmerzpatientin mit Vulvodynie. Die wichtigsten Fakten zu dieser Erkrankung werden in diesem Artikel zusammengefasst, eine Buchempfehlung für weitere Details finden Sie am Ende des Artikels.

Definition und Symptome

Vulvodynie bedeutet nichts anders als „Schmerzen im Bereich der Vulva“, für die keine gynäkologische Ursache gefunden werden kann.
Neu ist dieses Krankheitsbild keineswegs, aber es gibt kaum Ärzte, denen es ein Begriff ist und die es diagnostizieren und behandeln können. Die betroffene Frau bemerkt zunächst meist, dass sie Schmerzen beim oder nach dem Geschlechtsverkehr hat. Das kann bereits beim ersten Geschlechtsverkehr der Fall sein, dann spricht man von einer primären Vulvodynie, oder aber erst später auftreten (sekundäre Vulvodynie). Es kann sein, dass die Schmerzen ausschließlich bei Berührungen, wie beim Verkehr, auftreten. Sie können aber auch völlig unabhängig davon bestehen und sich vielleicht in bestimmten Positionen wie im Sitzen oder bei Bewegungen, wie beim Laufen, verstärken.
Mögliche Symptome können sein, dass es aufgrund von Schmerzen unmöglich ist,
  • einen Tampon in die Scheide einzuführen,
  • den Penis in die Scheide einzuführen, also Geschlechtsverkehr auszuüben,
  • dass der Frauenarzt eine Untersuchung der Scheide mittels eines Scheidenspiegels vornimmt,
  • oder dass sogar die Tastuntersuchung mit dem Finger schmerzhaft ist.
Die Schmerzen können aber auch ohne äußeren Anlass vorhanden sein im Bereich von
  • Scheide und Vulva, und /oder ausstrahlen in
  • Enddarm, After, Harnröhre und Damm

Häufige Irrwege

Oft ist ein zeitlicher Zusammenhang mit Infektionen im V-Bereich erkennbar, wie beispielsweise einer Pilzinfektion. Der erste Weg führt die Betroffenen daher natürlich zum Frauenarzt. Wenn von gynäkologischer Seite nichts festgestellt werden kann, die Schmerzen aber unverändert fortbestehen, beginnt für die Frauen sehr oft eine Odyssee. Es werden weitere Frauenärzte konsultiert, der Hautarzt, manchmal auch der Orthopäde oder Neurologe – meist ebenfalls ohne Befund. Ganzheitliche Mediziner, Homöopathen und Heilpraktiker erreichen in der Regel auch keine wesentliche Schmerzlinderung. Und so „landen“ die Betroffenen oft beim Psychologen oder Psychotherapeuten, wo nach seelischen Ursachen gefahndet wird.
Dabei ist inzwischen ganz klar: Vulvodynie ist keine psychische Erkrankung! Selbstverständlich haben die Schmerzen, die damit verbundenen sozialen und partnerschaftlichen Einschränkungen und die notwendigerweise vorhandenen Ängste enorme Auswirkungen auf die Psyche. Das kann bis hin zu Depressionen führen.
ABER: Vulvodynie ist eine Schmerzkrankheit, welcher körperliche Ursachen zugrunde liegen.

Diagnose

Der allerwichtigste Schritt ist zunächst, dass die richtige Diagnose, also Vulvodynie, gestellt wird. Wenn frau weiß, woran sie leidet, wenn das Ganze endlich „einen Namen hat“, dann stellt allein dies schon eine Erleichterung dar.
Vulvodynie ist eine Ausschlussdiagnose, das heißt, es müssen tatsächlich alle oben aufgeführten Spezialisten wie Gynäkologe, Hautarzt, Neurologe und eventuell Orthopäde aufgesucht werden, um Erkrankungen auf diesen Gebieten gegebenenfalls zu erkennen oder eben auszuschließen.
Wenn dies allerdings bereits unter der Verdachtsdiagnose einer Vulvodynie geschieht, das heißt, wenn nach den Ursachen für Schmerzen in der V-Zone gefahndet wird, dann können alle notwendigen Untersuchungen von Anfang an sehr viel zielgerichteter erfolgen.
Manche Ärzte sind auch dankbar, wenn die Patientin ihnen Informationsmaterial zum Thema Vulvodynie mitbringt.

Häufigkeit

In den USA wurde in einer Folge der Kultserie „Sex in the City“ das Thema Vulvodynie angesprochen, und der Sender konnte sich anschließend vor Anrufen, Emails, Faxen und sonstigen Hilferufen nicht mehr retten.
Insgesamt ist man in den USA schon Meilen voraus. Es gibt dort starke Patientinnenorganisationen, die sich an die Medien und die Politik wenden und bewirken konnten, dass inzwischen zahlreiche wissenschaftliche Studien über Vulvodynie durchgeführt werden. Unter anderem haben breit angelegte Umfragen klar ergeben, dass Millionen von Frauen in den USA betroffen sind. Man darf davon ausgehen, dass dies in Europa nicht anders ist.
Demnach sollen mindestens 20 Prozent aller Frauen wenigstens einmal in ihrem Leben an chronischen Beschwerden und/oder Schmerzen im Vulvabereich leiden!

Ursachen

© Andrea Danti - Fotolia.com
© Andrea Danti – Fotolia.com
Bis jetzt ist noch nicht klar, was genau die Ursache für diese oft brennenden, manchmal auch stechenden oder rasiermesserartigen, oft unerträglichen Schmerzen ist. Sehr wahrscheinlich gibt es verschiedene Ursachen, die zusammenwirken können und im Endeffekt zu demselben Krankheitsbild führen. Es gilt, diese Ursachen aufzuspüren. Dazu ist oft eine Zusammenarbeit von Ärzten verschiedener Fachgruppen notwendig. Denn auch wenn sich die Symptome im Intimbereich zeigen, ist Vulvodynie keine gynäkologische Erkrankung im eigentlichen Sinne.
Eine ganz wichtige Rolle spielt dabei das Nervensystem:
  • Eine Störung im Bereich der kleinsten Nervenendigungen kann bestehen.
  • Durch krankhafte gestörte Nervenendigungen laufen vermehrt entzündliche Reaktionen im Gewebe ab.
  • Bestimmte Beckennerven können geschädigt sein.
  • Eine generelle Veränderung des Schmerzempfindens und der Schmerzverarbeitung im Gehirn ist ebenfalls in der Diskussion.
Weitere wichtige Rollen spielen:
  • das Immunsystem
  • eventuelle Störungen im Gerinnungssystem
  • der Beckenboden
  • eine verminderte Durchblutung im Beckenbereich.

Therapie

© Brian Jackson - Fotolia.com
© Brian Jackson – Fotolia.com
Auch wenn es im Einzelfall nicht immer möglich ist, die ganz spezielle Ursache zu finden, so gibt es bereits etliche Therapiemöglichkeiten. Angefangen von medikamentöser Therapie über neurologische Verfahren bis hin zum operativen Eingriff als letzte Möglichkeit existieren zahlreiche Maßnahmen. In den allermeisten Fällen ist aber kein chirurgischer Eingriff notwendig, um eine deutliche Besserung zu erreichen.

Medizinische Maßnahmen

Folgende medizinischen Maßnahmen können angewendet werden:
  • In jedem Fall jegliche Vermeidung örtlicher Reize
  • Lokale Therapie mit speziellen Cremes, die beispielsweise Östrogen oder ein örtliches Betäubungsmittel enthalten
  • Medikamente, die bei chronischen Schmerzen zum Einsatz kommen
  • Biofeedbacktraining des Beckenbodens
  • Radiofrequenztherapie
  • Neuromodulation
  • Chirurgische Ausschneidung des Gewebes um den Scheideneingang
All diese so genannten schulmedizinischen Verfahren stehen bei der Therapie an erster Stelle, wobei einer gezielten Schmerztherapie oberste Bedeutung zukommt. Das Aufsuchen eines Schmerztherapeuten, der sich mit diesem Krankheitsbild auskennt, ist daher vordringlich. Es geht darum, die Schmerzen soweit irgend möglich zu mindern oder möglichst sogar völlig auszuschalten, um den Betroffenen ihre Lebensqualität wiederzugeben.

Ganzheitliche Methoden

Es ist darüber hinaus aber auch sehr wichtig, dass die Betroffenen diese Schmerzkrankheit als etwas sehen, was sie als gesamte Persönlichkeit betrifft. Viele Betroffene leiden noch an anderen Erkrankungen wie interstitieller ZystitisFibromyalgie oder Reizdarmsyndrom, die genau wie Vulvodynie ebenfalls auf der Liste der wenig erforschten Krankheiten stehen – eben weil die Ärzte mit den üblichen Untersuchungsmethoden so wenig finden können. Das spricht dafür, dass in vielen Fällen nicht „nur“ die V-Zone involviert ist, sondern etliche Systeme des Körpers. Es ist immer „die ganze Frau“ betroffen.
Insofern haben begleitende psychologische Beratungen zum Umgang mit der Erkrankung, aber auch ganzheitliche, alternative Verfahren ihre Berechtigung und ihren Platz in der Therapie und können als Ergänzung zur Schulmedizin sehr hilfreich sein.
Solche alternativen Möglichkeiten können sein:
  • Stressreduzierung durch alle dafür geeigneten Maßnahmen wie beispielsweise Yoga und Meditation
  • Entspannungsübungen für den Beckenboden
  • Osteopathie
  • Akupunktur
  • Lösung versteckter Emotionen und unbewusster Probleme (EmotionscodeInnerwise, Heilungscode, Psenergy)

Fallbeispiel

Anita (38) führte wie viele Frauen ein ganz normales Leben mit Mann und zwei Schulkindern und war seit einiger Zeit wieder in Teilzeit berufstätig. Was sie sehr beunruhigte, war, dass sie seit einigen Wochen nicht mehr mit ihrem Mann Geschlechtsverkehr haben konnte. Immer, wenn er versuchte, in sie einzudringen, hätte sie vor Schmerz schreien können. Dasselbe war der Fall beim Versuch, einen Tampon einzuführen. Mit häufigen Pilzinfektionen hatte sie seit Jahren Erfahrung, aber dies fühlte sich ganz anders an.
Ihre Frauenärztin untersuchte den gesamten Bereich von Scheide und Vulva gründlich und teilte ihr mit, dass diesmal keine Pilzinfektion bestehe. Sie denke aber, dass Anita eine Form der Vulvodynie entwickelt habe. Zunächst verordnete sie spezielle Cremes, wodurch die Schmerzen etwas erträglicher wurden, aber nicht aufhörten. Anita wurde an einen Spezialisten für Schmerztherapie überwiesen, wo sie Medikamente erhielt. Im Laufe mehrerer Monate wurden die Medikamente kontinuierlich angepasst, und die Schmerzen konnten dadurch weitgehend zum Abklingen gebracht werden. Durch begleitende Gespräche mit einer Psychologin hat sie gelernt, mehr Rücksicht auf sich selbst und ihre Bedürfnisse zu nehmen.

Expertin in eigener Sache

© FotolEdhar-fotolia.com
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Wer an Vulvodynie leidet, wird nicht umhin kommen, zur „Expertin in eigener Sache“ zu werden. Zum einen, weil die Ärzteschaft kaum etwas über dieses Krankheitsbild weiß, zum anderen aber auch, weil die Patientin ihren Körper am besten kennt. Und je mehr Wissen frau über diese Erkrankung erwirbt, umso besser kann sie Verantwortung übernehmen – im Umgang mit Ärzten und im Rahmen der Behandlungsmöglichkeiten.
Es gilt zudem, vieles im eigenen Leben zu überdenken, neu zu werten und zu ordnen. Nicht wenige Partnerschaften wachsen enger zusammen durch den gemeinsamen Umgang mit der Erkrankung, die ja immer auch den Partner mit betrifft; manche können auch daran scheitern, weil sie vielleicht doch nicht so stabil sind wie erhofft. In jedem Fall ist es ein Lernprozess, mit Vulvodynie umzugehen und es kann auch ein Anlass sein, manchmal sogar eine Chance, sein Leben neu einzurichten.
Es ist davon auszugehen, dass sich in den kommenden Jahren durch die Zunahme der wissenschaftlichen Studien zum Thema Vulvodynie etliche neue Therapiemöglichkeiten auftun werden. Schon jetzt gibt es immer wieder „Erfolgsberichte“ von Betroffenen, die Mut machen. In jedem Fall ist Vulvodynie eine behandelbare Erkrankung – niemand muss „damit leben“!



https://www.netzwerk-frauengesundheit.com/vulvodynie-schmerzen-im-intimbereich/
30.04.2017/10:01 h 

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