Montag, 4. Juni 2018

ANGST


Angst ist eine überlebensnotwendige Eigenschaft des Menschen, welche schon den ersten lebenden Homo was auch immer die Eigenschaft des Selbstschutzes übermittelte. Bei einer Gefahr Angst bekommen, dann weg rennen - oder sich ein Versteck suchen, um das Überleben zu sichern.

Angst.

Angst haben ist an sich nichts schlimmes und passiert hin und wieder. Ist also eine menschliche Eigenschaft, gehört einfach dazu, um - wie gesagt - das „Überleben“ zu sichern. Zumindest in den Zeiten, wo dies noch elementar wichtig war.

Allerdings gibt es auch Angst oder Ängste, die damit überhaupt nichts zu tun haben, plötzlich entstehen können und lebensbeeinträchtigend den Menschen für immer verändern können - oder zumindest für eine sehr lange Zeit. Und das Alter spielt dabei kaum eine Rolle, eher die Psyche, die so versucht Sachen und Erlebnise zu verstehen, zu verarbeiten oder einfach auch nur „auszuklinken“.

Existenzangst, Angst vor vielen Menschen, Angst vor geschlossenen Räumen oder die Angst,alleine irgendwo hin zu gehen.
Ängste, die Symptome für Erlebnisse sind, die oftmals ganz tief im Dunklen der Psyche liegen,  nicht erkennbar sind und nur selten ausgemerzt werden können. Unsere Psyche ist geborgen durch die Angst, die den Menschen im Überlebensmodus hält, genau deswegen können sich Ängste ent-wicklen. Ein Schutz -allerdings ist der nicht immer aktuell notwendig.
Trotzdem ist er da. Ab einem gewissen Zeitpunkt für immer - oftmals ohne zu wissen, warum und wie das nun pasierte, obwohl mir so was ja nicht passiert:ich bin ja schließlich nicht bekloppt!

Ich hatte als Kind Angst.

Jeden Tag.

Jede Nacht.

Ich hatte Angst vor dem Aufstehen und Angst abends zu Bett zu gehen - ich fühlte mich nirgends sicher.
Es war immer die Angst da, ich würde was verkehrt machen...Ärger bekommen.
Ich hatte Angst, meiner Mutter wieder nicht zu gefallen.
Ich hatte Angst davor, zur Schule zu gehen, weil ich auch da ausgegrenzt wurde, ein Außenseiter war und dann auch noch die Angst, vor den schlechten Noten - die war auch immer da.
Ich hatte Angst, das der Missbrauch ent-deckt wird - und Angst davor, das er nicht ent-deckt wird.
Ich hatte Angst davor missbraucht und vergewaltigt und gedemütigt zu werden, aber noch mehr Angst hatte ich davor, dass meinem Bruder was passierte, wir getrennt wurden oder meine Mutter wieder von ihm verprügelt wurde.

Ich hatte Angst.

Jeden Tag.

Jede Stunde.

jede Minute meines Lebens in meiner Kindheit und Jugend.

Diese Angst prägte mich, ich wurde unsicher, wenn ich was sagte, sagen musste und dachte immer, ich bin dumm - ich habe keine Ahnung von dem oder das. Ich fühlte mich schlecht. Ich war schlecht. Und ich hatte Angst davor, das dieses Gefühl noch schlimmer wurde.
Ich hatte Angst vor den Prügeln, wenn ich mit einer schlechten Note nach Hause kam.
Angst davor, zu entdecken, dass ich nicht geliebt werde von meiner Mutter. Angst vor der Macht, die sie besaß und ihrem damaligen Partner sowie dem heutigen verstorbenden Ehemann geschenkt hat über mich - Angst vor dem Leben in dieser Zeit.

Rückblickend hatte ich immer nur Angst.

Was ich furchtbar finde, mein Leben so sehr beeinflußt hat, dass ich oftmal auch heute noch Angst davor habe, meine Meinung zu sagen - oder nur „ganz einfach“ NEIN zu sagen, alte Muster sozusagen wieder aktiv sind und mich daran hindern, erwachsen und „ich zu sein“.
Angst davor jemandem zu sagen, das gefällt mir nicht oder einfach die Angst davor jemandem zu sagen, das verletzt mich was du tust. Es verletzt mich, was du sagst. Grenzen setzen konnte ich niem weil man mir meine genommen hat. Nicht nur grenzen-los zu sein ist das Problem, sondern auch anderen damit grenzen zu setzen wurde nie erlernt - und ich wollte, dass man mich mag. Bitte mag mich, dann tu ich auch dies oder das für dich, auch kannst du Sex mit mir haben, aber bitte, BITTE mag mich. Angst macht dumm.
Angst läßt nicht vorausschauend handeln oder denken, weil das JETZT so entscheident wichtig ist.

Angst zerstört Kommunikation, jegliches Gefühl zu mir und zu anderen und Angst ist ein Gefühl, welches sich für immer einbrennt...in den Körper, die Psyche, die Seele...und jegliches Handeln bestimmt.

Früher dachte ich, wenn ich was sage, mag mich keiner und gemocht zu werden war so wichtig für mich, weil ich immer dieses Gefühl hatte, dass dies keiner tat. Also suchte ich nach Aufmerksamkeit, alberte rum, lachte viel und machte mich zum Clown. Tränen gab es bei mir nicht.

Aber die Angst, die war immer spürbar.

Ich hatte Angst davor, wieder einen Tag Hunger haben zu müssen. Angst davor, das wieder nicht genug Unterwäsche da war, wenn meine Mutter nicht wusch oder ganz einfach Angst davor, völlig verkannt zu sein, verkannt zu werden. Oder die Angst davor, wenn meine Mutter meine Sachen trug, von den wenigen, die ich sowieso schon hatte. Angst davor, meine Meinung zu sagen, weil sie soweiso nie zählte. Angst davor, wieder keinen Rückhalt zu finden.

Ich hatte Angst. Lebensangst. Immer.

Ich kann mich nicht daran erinnern, keine Angst gehabt zu haben...diese Erkenntnis hatte ich aber erst vor ein paar Wochen, durch ein Therapiegespräch. Angst wird so zu einem Lebensbegleiter, das man sie einfach nicht mehr wahr-nimmt. Wie ein Körperteil, ein Teil von einem selbst.
Es geht nicht mehr weg, unbewusst hindert sie aber immer am Leben, am „sein“ und die gesamte Entwicklung ist dadurch ebenfalls gestört.


Heute:
Heute habe ich keine Angst mehr wie damals, heute ist es anders. Heute erinnere ich so vieles, was mal wahr war, das ich an mir zweifel.

Heute machen mir die Erinnerungen Angst, die einfach so aus dem Nichts auftauchen, ohne gefragt zu werden und zu sein und ohne, dass ich das will.
Ich will mich nicht daran erinnern, das ich immer und überall Angst hatte - ich will frei sein von Symtomen, die mein Leben so sehr beeinflussen, dass ich nicht „gesellschaftsfähig“ bin bzw. mich nicht g esellschaftsfähig fühle - wieder als Außenseiter zähle, weil ich dies einfach schon immer war und bin.
Ich bin anders, ich bin nicht wie andere.

Weil ich überlebt habe, auch mit so großer Angst, dass ich oftmals auf Toilette musste, weil es mir „nach innen“ ging.
Sobald ich Angst hatte, habe, musste ich zur Toilette...auch heute noch.

Doch das ist ein Tabu, darüber wird nicht gesprochen - WC Sachen, Innereien und eine schlechte Kindheit wird nicht mitgeteilt. Und doch ist es immer da. Egal wo man ist, wie man lebt, was man geworden ist - oder auch nicht.

Die Symptome holen dich ein, fressen dich auf, erst langsam und sachte, das du denkst, du bildest es dir ein und das brauchst du dem Arzt nicht zu sagen. Bist du irgendwann merkst, es ist immer noch da...und es dann auch schon vergessen wird, weil es mitlerweile zum Leben einfach dazu gehört, wir uns angepasst haben an das, was nicht sein darf. Nicht ist.

Angst, raus zu müssen, einkaufen zu gehen, unter Leute zu sein - ich mache es, ich gehe raus - und doch ist es oftmals so verdammt schwer, ins Leben hinaus zu treten und einer unter vielen zu sein. Einer von vielen, der so anders ist. Ich bin einfach auch gerne zu Hause, lebe meine Tag und schreibe, so wie ich kann...ich liebe es mitlerweile einfach „Ruhe“ zu haben, bei mir sein zu können und einfach nur mal das machen zu können, wonach mir ist. Und alleine das raus zu finden, ist echt schwer. Vor allem wenn die letzten zwanzig Jahre meines Lebens dazu da waren, meine Kinder zu erziehen, für sie rund um die Uhr da zu sein und nebenbei noch zwei Studien durch zu ziehen und Haushalt, Lernen, Wäsche und Arbeiten ja auch noch anstand. Rückblickend denke ich oft, Hammer, wie konnte das laufen? Doch es lief - und ich damit, eingeengt in indiesem Kreislauf von mir erschaffen, um das Leben zu schaffen. Enorm denke ich...gleichzeitig habe ich mich aber nie gespürt, niemals wahr genommen. Irgendwie hat mich das Leben verdeckt.

Erst, als meine Angst zu Versagen wieder da war, meine Arbeit zu verlieren, weil ich einfach zu erschöpft war und ich einfach nur gerne mal schlafen wollte - erst dann erkannte ich, was ich mir alles erkämpft habe und was ich nicht verlieren wollte.
Existenzangst, Angst den Job zu verlieren - die Angst, keine Miete mehr zahlen oder gar Einkaufen gehen zu können. Und dann war es wieder spürbar, diese Angst zu Versagen war einfach wieder da. Ich hatte Angst aufzustehen, Angst schlafen zu gehen...Kopfkino verfolgte mich und ich hatte Angst davor, mein Konto zu sehen, dem Monatsende noch auf nächste Woche verschoben....all dies machte Angst.

Abgesehen von der Angst, die mit meinen Kindern entstand. Angst davor, ihnen nicht gerecht werden zu können - Angst davor, das ihnen das gleiche passiert, wie mir. Angst davor, speziell meine Mädchen, aber auch meinen Sohn nicht schützen zu können...die habe ich überwunden - durch Vorsicht, Achtsamkeit und erst einmal jemanden kennen lernen. ...

Angst, dass das Telefon klingelt, weil mir ein Abnehmen des Hörers zurzeit einfach nicht möglich ist. Weil ich ja nicht weiß, wer da so gegenüber dran ist - auch wenn es bestimmt nicht schlimm ist.

Ich habe Angst und kann sie oftmals nicht kontrollieren, dann kontrolliert sie mich und ich verliere mich in mir, dissoziiere und bin dann mal weg - weil ich dann nur noch funktioniere.

Und die Angst, die ist feste in mir.




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