Freitag, 16. Juni 2017

gebrochene Flügel




gebrochene Flügel

Ich ziehe mich mit letzter Mühe Schutz suchend unter einen Baum, halte meine sonst so farbenfrohen Flügel
mit schmerzverzerrtem Gesicht feste bei mir; sie sind völlig verschmutzt, dreckig; die wunderschönen Farben total beschmutzt!
Ich kann nicht mehr fliegen, bin abgestürzt, so tief…
und so feste auf dem Boden aufgeschlagen,
dass alles in mir wie betäubt, zerbrochen ist. Wo bin ich!?
Nach Hilfe rufen, bringt mir nichts -
es wäre keiner da, der meine stummen Schreie hören würde -
ich kenne keine Worte mehr. Ich bin verstummt.
Wie betäubt sitze ich unter dem schützenden Baum und lehne mich an den dicken, alten Stamm… er stützt meine kaputten Knochen, meinen kaputten Körper gerade so, dass ich nicht weiter zu Boden sinke.
… ich bin innerlich zerbrochen.
Ich bin vom Weg abgekommen, verloren im Nirgendwo.
Weiß ich nicht, wo ich gerade bin.
Ich  versuche meine Flügel zu bewegen, doch auch sie bleiben ungewöhnlich stumm.
Ich habe keine Möglichkeit, dieser Situation zu entkommen…ohne fliegen zu können!
Der Sturm wütet weiter, ich kann ihn heulen hören!
Der Regen peitscht weiter um mich, um diesen alten Baum herum, schnelle und helle Blitze zucken am Himmelszelt, der Donner grollt hier und dort und überall - ich sehe nichts, so dunkel ist es um mich herum, lehne mich an den Baum, lasse die wartenden Tränen weinen.
Es sieht mich keiner
und ich sehe niemanden,
bin alleine.
Tief getroffen durch diesen Absturz weiß ich nichts mehr. Ich weiß nicht, wo ich bin. Wie ich fort kommen soll - ich kann nicht mehr fliegen…
Seit Tagen dauert das Gewitter an, der Regen wird mein Durstlöscher … säubert mich sogar etwas von dem ganzen Dreck und Matsch auf mir.
So gut es geht, versuche ich mich aufzurichten… ganz langsam geht es, trotz so starker Schmerzen. Ich sehe den Ast über mir…und zweifel daran, dass ich den jemals erreichen kann! Mein Selbstwert ist dahin… zusammen mit meinem Fluginstinkt. Ich setze mich wieder hin und versuche es später wieder...und achte ängstlich auf die Gefahren der wilden Tiere um mich herum. Ich bin ein Kind des Waldes, aber am Boden ist es gefährlich, sogar für mich!
Wieder ein paar Tage später habe ich es geschafft, ein in der Nähe liegender, kaputter Ast half mir hinauf in die Sicherheit des Baumes, auch wenn es nur der erste starke Ast des Baumes ist, sitze ich nun sicherer, als auf dem Boden. Ich werde auch nicht mehr nass und ganz langsam, wärmen sich meine Glieder. Ich spüre immer noch nichts, die Sonne blendet meine Augen, mein Kopf tut weh´ - immer noch erkenne ich keine Richtung, keinen Weg, sehe niemanden.
Aber es fühlt sich nun etwas besser an, auch wenn es noch sehr schmerzt. Ich schäme mich, weil ich abgestützt bin. Wie soll ich den anderen je wieder unter die Augen treten!? NIEMAND stürzt ab - alle fliegen und schaffen den Alltag, ihre Arbeit und unterstützen den Staat!
Ich schließe die Augen und versuche erneut, die Flügel zu bewegen, wenn auch unter starken Schmerzen, geht es nun… ganz langsam breite ich sie aus - sie sind gebrochen vom Sturz, der Riss ist gut zu erkenne, wenn er auch langsam heilt… wie lange muss ich hier noch bleiben, frage ich mich und sehe nicht die Sonne, die langsam über den Himmel kriecht, auch deren Wärme erreicht mich nicht. Die großen Blätter des Baumes bedecken mich…
Wieder ein paar Tage später versuche ich noch höher zu kommen, langsam und vorsichtig merke ich, dass  mein Kopf nicht mehr schmerzt, ich auch meine Arme wieder bewegen kann und drücke mich langsam, Ast für Ast höher hinauf, näher zur Krone des Baumes hin… es wird luftiger, Dreck fällt von meinen Flügeln, meinem Körper…ganz langsam erkennt man wieder die, die in mir ist -  und ich sehe, dass vor mir plötzlich die Vögel sitzen…bunt zwitschernd und emsig plaudernd mit ihren Freunden fliegen sie von Ast zu Ast - wieso habe ich sie vorher nicht bemerkt!? ich will auch wieder fliegen, denke ich und setze mich, lehne mich an den Baum und sehe ihnen bewundernd und neidisch zu. Nanu, denke ich, wie furchtbar! Ich bin neidisch… so was kenne ich von mir gar nicht. Verwundert schüttel ich langsam den Kopf, ich und neidisch… und wieder geht mein Blick zu den prächtigen und zwitschernden kleinen Tierchen über mir…  Stunden später werde ich wach und wunder mich, dass ich das erste Mal seit Tagen richtig geschlafen habe… es fühlt sich gut an, wunderbar und frisch  - und nun merke ich, dass ich die Sonne auf mir spüre!
Es ist warm, ach, wie schön das ist  - und wie sehr habe ich das vermisst!
Ich freue mich, auch dieses Gefühl habe ich vermisst. Die Dunkelheit spüre ich nicht mehr und wieder versuche ich meine Flügel zu strecken - es geht und ich strecke sie ganz weit von mir, bewege sie ganz langsam und stelle fest, ich höre sie wieder! Leise flüstern sie mit dem Wind, wollen wieder fliegen - doch die Angst wieder zu fallen lähmt die Freude des Moments und ich lehne mich wieder an den sicheren Schutz des Baumes an… Irgendwas hat sich verändert, ich bin anders - nicht mehr so frei.
Und ich habe Angst!
Das hatte ich noch nie - nie konnte es hoch genug, nie wild genug sein - bei allen Sachen war ich stets dabei… UND nun, nun habe ich Angst abzuheben, eine normale Bewegung zu machen, einfach nur zu fliegen… Tränen liefen meinem Gesicht hinunter, sie wollten gar nicht mehr versiegen …
Ich blieb weiter sitzen in der Baumeskrone, sah den anderen Fliegern zu - sah aber niemanden von meiner Art. Sie sind wohl alle weiter geflogen, niemand hat auf mich geachtet… ob sie mich vermissen werden? …
Ein paar Tage später, ziehe ich mich wieder einmal nach ganz oben, so wie jeden Tag in den vergangenen drei Wochen.
Ich spüre den Wind um mich herum, wie er mich tragen will, mir zu flüstert, nun komm… Wie automatisch breiten sich meine Flügel aus und ich muss feststellen, dass sie ganz anders aussehen, als zuvor, sie viel bunter, farbenfroher sind und glitzern in der Sonne - wo kommt das nun her? frage ich mich perplex. Ich sehe nach oben und der Drang einfach zu springen überkommt mich so plötzlich, dass ich erschrecke und lachen muss… okay. Ich versuche es… und ein langer Seufzer entfährt mir. Meine Stimme ist langsam wieder da, okay, dann JETZT und atme tief ein… ich stelle mich hin, breite die Flügel nun vollständig aus und stoße mich ab -  und falle!
Ich habe Angst und sehe den Boden rasend schnell auf mich zu kommen und plötzlich weiß ich, ich will nicht mehr auf dem Boden liegen! Erinnere mich, wie es ist zu fliegen und beginne zu fliegen, ich spüre den Wind, der mich trägt und meine Flügel, die mich höher tragen… ich sehe den Baum unter mir, rufe ihn meinen Dank zu! Ich erkenne keinen Weg, dieser Ort ist mir völligst unbekannt - und habe das Gefühl, Angst und Erregung kommen auf, habe aber dann die Erkenntnis! Ich suche einen neuen Weg für mich, meinen eigenen, nur für mich!
Ich freue mich, fliege hoch und höher, merke zwar, dass ich noch schwach bin - aber ich weiß nun, dass ich es noch kann! Ich KANN wieder fliegen, auch wenn meine Knochen noch nicht völligst ausgeheilt sind, ich noch Schonung brauche, vielleicht Angst habe vor dem, was kommt, ich nun ganz anders bin...
Aber nun weiß ich, dieser Sturz machte Sinn -
und ich merke nun, dass UND wie sehr ich doch am Leben bin!
Und ziehe meine Kreise, hoch und höher hinauf, um meine eigene Freiheit und die Wärme der Sonne zu spüren!

Ich gebe nicht mehr auf!

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