Donnerstag, 14. Dezember 2017

SchlagWörter





SchlagWörter



Lange Zeit gab es keine Bennenung von Fakten, die in meiner Kindheit an der Tagesordnung waren.
Vor lauter Sehnsucht nach Liebe, Aufmerksamkeit erhaschen, von Menschen, die mir wichtig wurden oder auch mal nicht - ich wollte gesehen, anerkannt werden...und etwas Liebe hätte ich gerne erfahren, einfach nur so, ohne, dafür was leisten oder jemand sein zu müssen...
Auch in den frühen erwachsenen Jahren gab es keine Namen für Taten, die irgendwie vergessen waren.
Vieles fühlte sich nur komisch an, ich zweifelte an mir, an meinen Fertigkeiten und Fähigkeiten, kam bei mir nie an. Lief mir selber hinter her, überholte mich fast selbst - fühlte mich jedoch nicht, begrub mich in der Zeit unbewusst einfach selbst. Nichts zu spüren, kaum zu leben, nur zu funktionieren bestimmte mein Leben. Ich musste es schaffen, mich gut zu fühlen, was zu erreichen, um mich selber nicht zu hassen. Anerkannt zu werden von anderen, etwas zu hinterlassen und nicht in einem Abgrund zu leben, wirklich was zu schaffen - zu zeigen, dass ich kein Versager bin...zu fühlen, dass ich keiner bin... und diesen Hauch von Abscheu weg kriegen, mich ungewollt und widerwillig zu betrachten und mich selber dafür so sehr zu verachten. Ich bin nichts, fühle nichts, bin es nicht wert... hart erlernte Konditionierungen, kombiniert mit viel Angst, Haß und Schmerz.
Mit Mitte dreißig schoben sich Bilder vor mein inneres Auge, in meine emotionale Welt...gruben sich ein, entstellten meine Welt...
und wieder gab es keine Namen für Taten, die mir so unwahrscheinnlich vor kamen. Mir bestimmt nie passiert waren - nur meiner abscheulichen Phantasie entsprangen, die mich noch mehr an mir zweifeln ließen...wie böse und schäbig müsste ich sein, um auf so welche Gedanken zu kommen, die mich auch in meinen Träumen kämpfen ließen...mich seit dem nie wieder verließen und mich irgendwann in Angst vor neuen Erinnerungen und Gedanken daran auch im Alltag nicht mehr verstießen.
Die Folge von diesen Erinnerungen, die mich auch im Alltag plötzlich festhielten, waren sichtbare Symptome auf meiner Haut, die ich versuchte zu verdecken, weiter normal zu wirken, einer von vielen zu sein...
Es gelang mir, weiter zu machen, die stärker werdenden und entzündeten Stellen auf meiner Haut zu kaschieren, zu verdecken und mich weiter aufrecht zu erhalten, wobei mich diese Schwäche immer wieder einholte, so ermüdete...und oftmals während des Tages bereits hinstreckte, mich komatös kurz schlafen ließ, mich seitdem aber nie weder verließ und mein Wegbegleiter wurde, auch heute noch neben mir steht, mir oft das Atmen nimmt, mich immer wieder runter zieht und mir zeigt, du bist nicht mehr allein, ich zeige dir, wenn es Zeit ist zu pausieren...ich halte es für dich ein!
Es fühlte sich so aussichtslos an, Ärzte sahen nicht, was mich betrifft und auch Wörter meinerseits, gab es dafür nicht. Ich sah und fühlte nichts, war in dem „ich muss funktionieren“ Modus gefangen, weil ich funktionieren musste, für diese kleinen Menschen bei mir, die mir so kostbar waren, mir mehr als alles andere bedeuten und mir die Verantwortung gaben, für sie da sein zu müssen.
Körperliche Symptome nahmen zu, mein Körper ebenso - und alles was ich hörte war, sie müssen wirklich abnehmen! Dann geht es ihnen wieder besser... und ich nahm weiter zu, bekam Antibiotika und weiter Cortison verschrieben, weil mich Infektionen nicht mehr verließen, immer wieder kamen und mein Leben mehr beeinträchtigten, vor allem Im HNO Bereich konstant und hartnäckig waren.
Medikamente zu nehmen, wurde normal - weiter wurde auch seitens der Ärzte nie gefragt - was könnte wohl hinter all dem liegen?
Es ist egal, wie sind auf funktionieren ausgelegt und sollten dies auch und wenn es nicht mehr läuft, holen dich die Medis schon wieder raus!
Symptome wurden betäubt, die Ursache nicht gesehen, auch von mir nicht.
Niemals hätte ich gedacht, dass es für „komische Sachen“ in meinem Leben Namen gibt, die aus der Psychologie kommen und Symptome erklären, die niemand braucht zum Leben...
Mein Körper rebellierte immer mehr, ich wurde krank - konnte nicht mehr und das Leben forderte wieder mehr...
ich schaffte die Arbeit, der Haushalt blieb oft liegen...privat lief nichts mehr: Besuch zu empfangen ist ein Greuel geworden, weil ich nicht mehr privat funktionieren konnte, konnte den normalen Ansprüchen nicht mehr genügen...auch mir nicht mehr. Irgendwie hielt ich mich aufrecht, wusste nicht, was eigentlich los ist mit mir.
Irgendwann dann, kam der Super GAU, der sich so abgezeichnet hat und mein Kopf explodierte, nichts ging mehr, keine Telefonate, keine e-mails, keine Bücher mehr - Gespräche wurden zur Qual, meine Konzentration war dahin und jedes Bemühen um etwas Normalität entschwand.
Ich war verschluckt worden und musste mir eingestehen, es ging nicht mehr, ICH K A N N einfach nicht mehr...dies zu erkennen, war die Hölle für mich, nun da es irgendwie lief, lief es einfach nicht und ich stand vor meinem Leben - und stand vor nichts. Alles verfiel, verfiel in nichts und ich stand wieder da und fühlte nichts, außer versagt zu haben. Ein Looser war ich.
Das ich krank war, sah ich nicht, konnte ich auch nicht, alles was ich sah, waren meine Bemühungen, Leben zu „machen“ - und dies konnte ich nun nicht.
Ich wurde krank geschrieben, beantragte Erwerbsminderungsrente, ohne wirklich zu wissen, was dies ist und bedeutet - es interessierte mich nicht. Ich merkte für mich, Leben wurde unwirklich für mich und eine Flut an Traurigkeit und Hoffnungslosigkeit umspült mich.
Ich verlor meine Arbeit, die mir immer so wichtig war - mir zeigte, wer ich war und ich zermürbte mich, warum dies alles so geschah...
Die Gewissheit, nicht mehr zu können, war schlimm für mich - es ging nicht um wollen, es ging um ein „tot“ sein, vor allem innerlich. Ich fühlte nichts mehr, war wie in einer Blase und hielt mich ein Minimum hoch, um die Verantwortung für meine Kinder zu tragen, dort nicht auch noch komplett zu versagen.
Diese Zeit war so wahnsinnig schwer für mich...jeden Tag zu wissen, ein komplettes Aufgeben gibt es nicht, für sie da zu sein, war das Ziel, was anderes gab es nicht...und wenn diese Gedanken kamen, einfach komplett aufzugeben, hielt mich die Verantwortung weiter irgendwie am Leben. Wie ein Stock im Rücken hielt sie mich aufrecht, rettete mein Leben,hielt mich aufrecht, ließ mich stehen.
Ich konnte bald diese ganzen körperlichen und psychischen Symptome nicht mehr aufhalten und selbst „laufen“, „atmen“, „sein“ fiel so immens schwer: Diagnosen, die mich kopfschüttelnd stehen ließen, beeinträchtigten mein Leben und immer noch, erkannte ich mich nicht.
Auch SchlagWörter kamen nicht an mich heran, alles wurde noch verdrängt, kam an mich nicht dran.
Ich war gefangen, in diesem Kreislauf aus Krankheiten, Schmerzen und dem ganzen „stand-halten“, am Leben zu sein. Und dann wurde es benannt, eine Posttraumatische Belastungsstörung bestimmte mein Leben,mannigfache Symptome zahlreich vertreten, das Kind bekam nun endlich einen Namen.
Auch das was mir als Kind passierte, wurde nun als mannigfacher Missbrauch bezeichnet,
was mich immer noch erstaunte, irgendwie ging es mich noch nichts an. Ich wusste, was da war, war nicht gut...aber das SchlagWort sexueller Missbrauch klang doch echt hart....
Je mehr Zeit verran, desto mehr fühlte ich, wie scheiße das alles ist, es kamen Sachen dazu, einiges veränderte sich... eine Depression begleitete mich, eine Schmerzstörung kam hinzu und schon waren die SchlagWörter greifbar für mich...diese Kinder der Gegenwart bekamen weiter Namen, waren nicht nur greifbar für andere, sondern auch ganz langsam für mich...ich versuchte mich daran zu gewöhnen, dass dies ein Teil von mir ist - auch wenn ich oft von anderen hörte, „du musst nur wollen“...doch das änderte nichts, um „wollen wollen“, ging es nicht mehr...am Leben zu bleiben war der Wert, doch das sahen alle nicht. Ich fühlte es, doch spürte es nicht in mir, weil ich mich „tot“ fühlte und nichts mehr wert....
Stillstand.
Nur Atmen.
Ein wenig sehen, in mir, außerhalb von mir...
und fühlen!
Und in dem Stillstand, kam EntWicklung...ganz langsam
sehen
fühlen
be-greifen
und Gefühle bekamen Namen,
Wörter, Begriffe
gaben Realitäten -
Wahrheiten,
Ein S E I N,
Ein I S T entstand
entsteht...
Die Zeit verinn, neue Namen kamen hinzu, alles veränderte sich... ich versuchte, weiter zu machen, Leben zu Leben...und ganz langsam veränderte sich das Leben für mich. Ich begann mich zu fühlen...ganz langsam...fand ein „ich“, was Dinge benennen konnte, die Erlebnisse bekamen Namen...SchlagWörter waren plötzlich mit Bedeutung für mich! Gefühle bekamen Namen, Symptome und Anzeichen noch mehr Diagnosen...Entwicklung trotz Stillstand entfaltete sich, langsam, ich begriff...
alles musste so sein, so kommen wie es ist
weil alles kaputt gehen muss, um neu zu entstehen, besser zu werden -
SchlagWörter wahrheitsgemäß aussagen und benennen, was so lange nicht wahr war und einfach nur ist. SchlagWörter wie Gewalt, Vernachlässigung, Missbrauch bekamen einen Platz in meiner Biografie...in meinem Leben.
UND nur mit dieser Akzeptanz, lerne ich (zu) Leben.









Mel Alazza, 2017

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