Dienstag, 27. November 2018

abgetrieben

ab-ge-trie-ben
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wie oft habe ich mir die Frage gestellt, wie es sein kann, dass ich mich immer so alleine fühle, ungewollt, ungeliebt und einfach nicht wert-voll...und bevor ich diese Gefühle so formulieren konnte, spürte ich schon sehr deutlich, dass ich so gar nicht er-wünscht war und bin. Schlimmes Gefühl für ein kleines Kind, ein kleines Mädchen, eine große Schwester, eine missbrauchte Jugendliche, eine verstoßene Tochter...Diese Gefühle waren schon immer da und ich fühlte mich immer anders als Andere und immer fremd unter „ihnen“. Völlig egal, wo ich gerade war, im Kindergarten, in der Schule, bei Freunden, Familienbesuchen, Festen, Party s usw. - niemals fühlte ich mich zugehörig und war oftmals einsam in mir, fühlte mich weder verstanden noch verstand ich andere; oftmals kam es mir so vor, als sprechen wir noch nicht einmal die selbe Sprache und meine Freunde wurden und waren dann immer mindestens zehn Jahre älter, da konnte ich etwas kommunizieren, mich einen Hauch normal fühlen. Wie auch immer.
In meiner „Familie“ fühlte ich mich ebenso, oftmals noch schlimmer, weil vieles mir so falsch vorkam von den Handlungen, den Gesprächen und den vielen Alkoholkonsum und diese starke Emotionslosigkeit.
Dann gab es da dieses eine Familiengeheimnis, dieses, welches mich betraf, mir immer komisch vorkam und mit dem ich so groß wurde: „Deine Mutter ist die Treppe runter gefallen und dann wurde die Geburt ausgelöst“, diesen Satz hörte ich von so vielen mein Leben lang, bis mich diese genaue Wortwahl irgendwann mit Mitte zwanzig einfach störte und plötzlich sagte mir jemand (danke dafür!!!  ) „NEIN, diese Geschichte stimmt auch nicht, du wurdest abgetrieben“...Wie erleichterte mich dieser Satz, der doch so viel Negativität beinhaltet, so erschreckend ist und den Tod eines Lebens ausmacht...trotzdem fügte sich dieses Puzzle teil schnell in meine Biografie ein und ich bin zu meiner Oma gefahren und fragte die...Sie regte sich auf, dass ich davon erfuhr (oder weil ein Geheimnis entlarvt wurde!?) und gestand mir dann aber doch, dass es so wahr und erzählte mir, dass das versucht worden sei...sie konnte doch nicht zu lassen, dass ihre Tochter sich das Leben versaute mit dieser frühen Mutterschaft, schließlich wäre Mutter sein ein Vollzeit Job und man hat kein eigenes Leben mehr und..,.und dann sah sie mich an und eine Träne lief ihr über die Wange und sagte, „Kind, so meinte ich das nicht, ich bin ja froh, dass du nun da bist und ich liebe dich sehr und bin froh, dass wir dich nicht doch noch abgegeben haben...da war nämlich diese Ärztefamilie, die keine Kinder adoptieren können und die wollten dich so gerne haben, ein kleines Mädchen haben die sich so sehr gewünscht. Aber als ich dich dann auf dem Arm hatte, viel zu früh im siebten Monat geboren und mit 48 cm und in den viel zu großen Puppenkleidern von deiner Tante...da ging es nicht! Du gehörtest schließlich zu uns! Also habe ich rum telefoniert und jeder dachte, ich hätte ein Kind bekommen und nicht deine Mutter...bis ich das erst einmal aufgeklärt hatte...und dann mussten wir ja die ganzen Babysachen kaufen, die du so brauchtest...“ Und das erste Mal in meinem Leben spürte ich, das dies genau meine Geschichte ist (und fühlte mich schuldig, weil sie Babysachen für mich kaufen mussten, weil die ja so teuer waren)...die Abtreibung schief gelaufen ist und der „Abort“ in die WC Schüssel sollte...und ich dann plötzlich da war...ein Bündel Leben, unwillkommen und ungewollt, verblüffte und erschrockene Gesichter, eine viel zu junge „Mutter“, die dafür gar nicht bereit war und wahrscheinlich auch nicht wusste, was mit ihr so passiert, weil ihre Mutter sie beschützen wollte, weil sie diesen nie selber empfand und das Mutter-Sein als Bürde er-lebte und damit keinen Freiraum fand...Ud obwohl ich dies alles so sehe und auch fühle und auch verstehe, verstehe ich nicht, wie man sein Kind trotzdem nicht lieben kann, selbst gestillt wurde nicht, weil man so was nicht mehr macht und es ja nun die Flasche gibt...
und dann tut mir dieses Kind leid, dieses junge Mädchen, was meine „Mutter“ wurde, ob sie nun wollte, oder auch nicht...und ich verstehe diese Überforderung dieser ganzen Situation, dieses aufgezwungene Mutter-Sein und dieses Gefühl, in einem falschen Film zu sein. Ich verstehe auch „Mama“, dass du dich so gefühlt hast...dich arrangieren musstest, die Hilfe deiner Mutter annehmen musstest, mich zu versorgen, um deine Ausbildung zu schaffen. Ich sehe das. Ich fühle das - und es tut mir leid. Es tut mir leid, dass dies so gelaufen ist für dich und das dich niemand gesehen hat, vielleicht dich auch niemand verstanden hat und so ein Geheimnis darüber entstand, niemand für dich da war. Das verstehe ich alles.
Und es tut mir leid, was dir passiert ist.
Was ich nicht verstehe ist, warum ich dir egal war, du mich nicht als dein Kind angenommen und gesehen hast und mir gezeigt hast, dass ich dir was bedeute, ich dir vielleicht was wert bin - du mich liebst?! Das verstehe ich nicht...wenn ich ein Baby im Arm habe, ein Kleinkind sehe, spüre ich Liebe - für ein völlig fremdes Kind! Und wenn jemand ein Kind auf meiner Schwelle ablegen würde, würde es hier bei mir und bei uns ein zu Hause finden, Liebe finden - ganz egal, was für eine Geschichte dieses Kind mit sich bringt, weil es einfach Schutz und Liebe benötigt, um zu wachsen, zu gedeihen, sich ent-wickeln zu können...doch du hast mir dies weder zeigen noch geben können und ich frage mich, warum...
Und dann kommen so viele Gedanken in meinem Kopf, die grausam sind und wieder ein Geheimnis aufdecken würden, was schon so lange begraben ist und wieder einmal keiner drüber spricht, aber diese Familie ausmacht, sie innen auseinander brechen lässt.
Ich vermisse es oft - immer noch - eine „Mama“ zu haben, mal eine „Mama“ um Rat zu fragen oder zu wissen, da ist jemand, der ist da, für mich, einfach so und einfach, weil es so ist, sein kann...und gleichzeitig weiß ich nicht, wie dieses Gefühl so ist... Und eine Oma für meine Kinder wäre schön gewesen, nicht, um diese zu beaufsichtigen, sondern um eine Oma zu haben, die ihnen erlaubt, so viel Süßes zu essen, bis sie platzen oder mit ihnen Plätzchen zu Weihnachten backt oder einfach nur eine Geschichte vorliest... halt all die Sachen, die Oma s so mit ihren Enkeln voller Stolz machen...da sein und sie durch s Leben begleiten, einfach Oma sein.
Auch dies ging nicht, weil ich meine Kinder schützen musste vor dir und deinem Leben mit diesem Mann, der Kinder und Frauen nur missbrauchen und schlagen und vergewaltigen konnte. So wie dich. So wie mich - und wie viele davor, weiß ich nicht.
Also, ich muss gestehen, als ich gehört habe, das er endlich tot ist, war ich sehr erleichtert - gar nicht so sehr, wegen mir persönlich, sondern weil ich dachte, nun kann er niemanden mehr verletzen, vergewaltigen und missbrauchen...und ich war froh. Nicht mehr, nicht weniger...
Und jetzt ist er tot, du hast reich geerbt und ich frage mich, fehle ich dir vielleicht - oder deine Enkel, die nun wunderbare Erwachsene sind?! Du hast mich verkauft, hast nun Vermögen geerbt von ihm, deinen dann doch noch geheirateten Mann - wie fühlt es sich an?! Das frage ich micht oft... kannst du schlafen mit dem Wissen, dass du genau dafür deine Tochter verraten, nicht geschützt und somit quasi verkauft hast? Keine Tochter mehr in deinem Leben, keine Enkel hast?
Wenn ich daran denke, zieht sich mein Herz zusammen und es schmerzt, gar nicht so sehr wegen mir, sondern wenn ich auch nur im Ansatz daran denke, dass dies meinen Kindern hätte passieren können...
Aber ich wurde weg-ge-trie-ben von dir und deiner Familie und deinen Gewohnheiten und deinem Leben, um meine Kinder zu schützen, mich zu schützen, mich weiter ent-wickeln zu können, obwohl ich mich immer ge-trieben fühlte...ge-trie-ben ein Leben für mich zu er-schaffen nach deinem Raus-wurf, als ich gerade zwei Wochen wieder da war aus Amerika, wo ich ein Jahr war...ge-trieben davon, nicht wie du zu sein, meine Kinder nicht für Liebe zu verkaufen oder für das, was ich dafür hielt...ge-trie-ben zu sein, mein „anders-sein“ auch zu sein und was zu erreichen, um von niemanden - und schon gar nicht von dir - abhängig zu sein...
Wie gesagt, ich verstehe den ersten Part meiner und auch deiner Geschichte, den weiteren allerdings nicht mehr und ich weiß nicht, ob ich das muss. Zurzeit ist es so, wie es ist und ich kann nur sagen: diesen ersten Part, den verstehe ich.
Alles was danach kam, ist für mich irgendwie ein Rätsel, auch wenn ich Vermutungen habe, die ich hier nicht äußern will und kann, weil genau dies nicht meine Geschichte wäre oder ist, sondern deine - auch wenn die dann auch irgendwie zu meiner geworden ist, ich sie mitgetragen habe. Und dies macht mich traurig, dass du dafür nicht die Kraft hattest...weil es uns zerstört hat, die Möglichkeit genommen hat, Mutter und Tochter zu sein. Vielleicht nicht immer in Harmonie vereint, aber doch eine Familie zu sein. Und ich weiß genau, irgendwann stehe ich an deinem Grab und ich weine um das, was zwischen uns nie gewesen ist - und nicht, weil ich dich dann vermiss.
Das finde ich traurig.
Aber es ist, wie es ist und so hat es mir ein Leben geschenkt, welches ich meinen Kindern bereiten konnte - ohne Angst, ohne Geheimnisse und mit viel Liebe, Wertschätzung und Rückhalt, weil so einfach Familie ist.





Mel Alazza

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