Sonntag, 18. Februar 2018

Verlorene Kinder

Verlorene Kinder

Wenn ich in deine Augen sehe, sehe ich die Verbindung zwischen uns...sehe, wie du mich anlächelst: doch tief in dir die Tränen kaum ertragen kannst - ich sehe dich, weil ich mich in dir erkenne: dich sehe und mit dir zusammen dies alles versuche zu ertragen, normal zu sein.

Wir weinen die selben Tränen: ungeweint, still, emotionslos - weil sonst kein Mut mehr da wäre, um Leben zu leben.

Mut, um jeden Tag aufzustehen und  Mut, um jeden Tag wieder zu Bett zu gehen: sich in einen schlaflose Nacht zu begeben, die seit so vielen Jahren schon besteht und immer weiter bestehen wird, weil es kein Entrinnen gibt für diese Taten, die an uns begangen wurden, und die uns immer noch nicht schlafen lassen.

Stille Trauer und das Gefühl des Lebens in uns verloren zu haben, ist ein Wegbegleiter geworden...den man nur erkennt, wenn man ebenso ist, anders als die Norm und sich immer als Außenseiter fühlt und erwachsener als jeder Erwachsene ist, ohne je komplett Kind gewesen zu sein, sein zu können, weil die eigenen Emotionen auf Grenzüberschreitungen jede Kindlichkeit nahmen und uns gleich mit dazu, uns selber nahmen, bis nur noch ein kleiner Teil von dem übrig blieb, was heute besteht. Ein Rest an Leben, der alle Lücken füllen muss, die im Laufe der Vernachlässigung, des Missbrauchs, der Manipulationen und der schlechten Konditionierungen entstanden ist.
Ja,ich bin noch da, doch siehst du mich nicht - weil ich mich nicht mehr fühlen kann. In mir ist es tot, dunkel, traurig...da will keiner sein, da will keiner leben: den eine Ent-Wicklung gibt es da nicht.

Ich bin allein, so sehr und doch auch wieder nicht, den ich erkenne mich in so vielen wieder, die für immer verloren sind: mal Kinder waren, deren Leben für immer und lebenslänglich genommen wurde.
Verlorene Kinder, die wir sind... unerkannt für so viele und betraft mit etwas, was sich Leben nennt und doch keines ist. Ich bin ein verlorenes Kind und sehe andere, die so wie ich, ebenso sind.
Wir sind viele.
Ich bin nicht alleine und wenn ich dich sehe, weiß ich das, doch dein Schmerz ist schlimmer als meiner, weil ich diesen Schmerz so sehr sehe, fühle...bei dir bin und ihn durch dich kaum ertragen kann: diesen Schmerz, den ich jeden Tag meines Lebens wie eine Millionen heftiger Nadelstiche in und auf mir spüre.

Sie: die dahinten, DIE lachen und weinen zusammen...sie umarmen sich, lieben sich, bleiben zusammen, bis die Liebe erlischt - oder der Tod sie trennt. So was hätte ich oft gerne, eine fühlbare Liebe:
mit Leidenschaften, morgens mit einander liebend aufzuwachen, vielleicht mit ehrlichen Diskussionen, auch kleinen Streitigkeiten, den Tag verbringen, ohne sich böse zu sein -  ohne diese tiefe Verletzbarkeit, die Nähe nicht zu läßt, mir so sehr das Atmen nimmt und mir dieses Allein-Sein auferlegt, auch wenn jemand, den ich liebe, bei mir ist... und mich dann zur Nacht liebevoll küßt...

Ich liebe - auf meine Weise, mit allem Misstrauen, was mir zu steht, weil ich niemanden traue - auch mir selber nicht. Aber ich gehe auch, weil ich nicht wieder verlassen werden will, weil ich etwas Stärke beweisen will, beweisen muss - weggeschubst und verlassen werde ich nicht mehr, das mache ich schon alleine...
weil ich mutiger sein muss, jeden Tag, als es die Menschheit insgesamt je sein wird. Und ich bin alleine, lebe es auch, weil Nähe nicht zu ertragen ist.

Wenn es mir zu viel wird, drifte ich weg, werde zeitlos, bin nicht da - und tauche irgendwann wieder auf, als wäre nichts passiert und merke nur, mir fehlt es an Erinnerung...

ich bin ja da und auch wieder nicht und manchmal, ja, ganz manchmal, schneide ich mich...aber nur, weil ich mich dann wieder fühlen kann, wenn ich merke, da ist noch was in mir, was fließen kann...nicht, um mich zu verletzen, sondern nur, um was zu fühlen, vielleicht etwas lebendiges in mir und bin erleichtert, wenn ich es dann wieder spüren kann, das Leben in mir, was ich dann sehen kann!
UND was davon bleibt sind die Narben, die für andere dann so entsetzlich sichtbar sind, aber wie ich schreie, ganz stumm, ganz tief in mir, dass weiß nur dieses Kind, was dabei war, als mir mein Frieden genommen wurde, mein Platz in der Welt kaputt gemacht wurde und mein Urvertrauen verloren ging, weil sich jemand an mir verging!
Und das was sie sehen, für sie so schlimm ist, dass es sie zu Tränen rührt...doch meine Emotionslosigkeit dabei, das sehen sie nicht, den es geht doch gar nicht um diese sehbaren Narben...sondern einzig allein um mich, ganz tief in mir drin!

Und ja, sie sehen nur die Narben, wenn sie sichtbar sind -  dabei sind die Unsichtbaren die Schlimmsten, weil die mir keiner nehmen kann, keiner nimmt.
Die Unsichtbaren, die mich nie schlafen und immer Schmerzen da lassen, mein Leben bestimmen, Wünsche unerfüllt lassen und mich mit so vielen Einschränlungen leben lassen - oftmals nur mit Existenzangst überleben lassen...was macht das alles für einen Sinn?! frage ich mich und verstehe oftmals diese Welt nicht, in denen Kinder  in Familien gelassen werden, obwohl es doch alles so offensichtlich ist.

Verloren Kinder: so viele, das es unzählbar ist, unendlich...die irgendwie erwachsen geworden sind, ein Leben leben, aufstehen, vielleicht noch arbeiten gehen, mit aller Kraft, die noch geblieben ist...weil es das Einzige ist, was sie noch aufrecht hält und irgendwie gesellschaftsfähig macht.

Doch die Auswirkung von sexueller Gewalt sucht sich ihren Weg, individuell und verschieden und ausdrucksstark, auf so vielen Wegen - egal wie viel Zeit verstreicht, sie liegt im Schatten, lauert auf eine Schwäche im System und schlägt dann zu, wenn es nicht erwartet wird und nicht mehr zu ertragen ist...

UND mit unverkennbaren, tieftraurigen Augen siehst du mich an: wir sehen uns, erkennen uns...und laufen aneinander vorbei, weil es zu tief schmerzt, den eigenen Schmerz, den eigenen Verlust in deinen Augen sehen zu müssen...
und ich ertrage es kaum, weil es mir den Spiegel vor hält, wie voller Unerträglichkeit ich doch eigentlich bin und ich blicke weg, weiche dir aus, weil ich nicht zu ertragen bin.





Mel Alazza




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