Dienstag, 6. Februar 2018

Vernachlässigung



Manchmal habe ich das Gefühl,

dass so viele Erinnerungen wieder hoch kommen, dass ich die gar nicht alle integrieren kann und es fühlt sich auch so an, als wäre das gar nicht ein Teil von mir. Auch das fühlt sich komisch an...wobei es diesmal gar nicht mehr so sehr um den Missbrauch an sich geht, sondern eher um die immense Vernachlässigung und Manipulationen als Kind und Jugendliche - oder die Abneigung zu mir.
Auch das ist irgendwie abgespalten - zumal ich oft denke, wie kann man den sein eigenes Kind nicht lieben!? Natürlich wird auch das eine Geschichte haben, aber ich bin nicht dafür verantwortlich, die Geschichte meiner "Mutter" oder meiner Familie als Entschuldigung zu sehen, warum mir ´wie und was´ passiert ist.

Meiner Meinung nach hat jedes Kind ein Anrecht darauf, kindgerecht umsorgt und geliebt zu werden - ansonsten kann ich die Verantwortung nicht übernehmen --- und ja, massive Vernachlässigung war nie ein Thema für mich, aber je älter ich werde, desto mehr Erinnerungen kommen auch daran wieder hoch. Zum Beispiel daran, das wir bei uns oftmals einfach kein WC Papier hatten, ich mich nicht daran erinnern kann, mal eine neue Zahnbürste bekommen zu haben - oder jemals ausreichend Unterwäsche und Socken, abgesehen von normaler Kleidung - gehabt zu haben. Wenn die Unterwäsche die ich hatte nicht mehr sauber war, sagte meine „Mutter“, zieh sie anders herum an - oder nimm eine von meinen. Demzufolge war ich auch oftmals wund im Intimbereich als Kind, weil die Hygiene einfach nicht so war, wie sie sein sollte und auch nicht darauf geachtet wurde.
Auch gefroren habe ich immer oder geschwitzt, „wettergerechte“ Kleidung hatte ich eigentlich nie, außer, wir gingen irgendow hin, dann wurden wir präsentiert...

Irgendwann sagte ich meiner „Mutter“, dass ich weiße kleine Würmer habe - ich zeigte sie ihr, als ich auf dem WC war und sie sagte, ach, das geht wieder vorbei - ist nicht schlimm... ich weiß nicht mehr, wie oft das vorkam, aber ich habe irgendwann aufgehört, ihr was zu zeigen, was mirkomisch vorkam. Egal was es war, es war für sie weder komisch noch gingen wir diesbezüglich zum Arzt.
Als wir von Dortmund nach Herdecke zogen, hatte mein Bruder ein eigenes Zimmer - ich habe mir das mit meiner "Mutter“ geteilt, es war also nie „mein eigenes“. Ich hatte weder ein Bett, noch ein Schrank, sondern schlief in ihrem Bett und benutzte ihren Schrank. Das einzige, was wirklich mir gehörte, war mein Schreibtisch, den ich mal mit sechs Jahren zur Einschulung bekommen hatte. Mehr nicht. zu dem Zeitpunkt war ich sieben oder acht. Davor hatte mein Bruder und ich ein Zimmer zusammen und ich weiß noch, das wir jeder ein eigenes Bett und auch einen eigenen Schrank hatten. Danach nicht mehr.
Als wir nach Herdecke zogen gegen Anfang/Mitte der 80er Jahre, zogen wir in ein Mehramilienhaus mit schönen Wohnungen, die über mehrere Etagen gingen; dass dies allerdings nur ein Kinderzimmer hatte, störte meine „Mutter“ nicht. Sie schlief unten in der anderen Wohnung, ließ uns oben alleine schlafen, mich mit sieben/acht Jahren, meinen Bruder mit vier/fünf Jahren. David ist drei Jahre jünger als ich.

Von da ab waren wir meistens alleine in der Wohnung, nachts und auch tagsüber.
Am Wochenende „spielte“ sich das Leben in der unteren Wohnung ab, bei ihrem Freund. Dort gab es auch immer was zu Essen, was zu Trinken und dort wurde auch immer Weihnachten etc gefeiert. Unsere Wohnung oben blieb immer steril sauber von irgendwelchen Feiertagen.
Oben in der Wohnung hatten wir kaum was zu Essen und zu Trinken, außer, wenn Besuch kam - dann wurde eingekauft und alles schön präsentiert - oder wenn sie mit ihm Streit hatte, meistens bei Vollmond. Deswegen sagten wir dann auch immer, wenn was ist, „Ach, haben wir wieder Vollmond?“ Das wurde irgendwie immer zum „running gag“, wie man heute sagen würde - zumal das eine Zeit war, in der mein Bruder und ich auch mal mittags etwas Warmes zu Essen bekamen.


Eigentlich waren mein Bruder und ich immer unterversorgt, was Essen anging...

Wenn wir morgens aufwachten, kam sie oft hoch, machte uns was zu Essen und schickte und zur Schule - allerdings wurde dies auch immer seltener und sie schlief aus, kam nicht hoch. Ich kümmerte mich dann um meinen Bruder und versuchte ihn, so gut ich konnte zu versorgen - mit sieben und acht und neun und zehn etc...aber wenn nichts da ist, kann man auch keine Versorgung übernehmen und oftmals waren die Sachen, die noch da waren, nicht mehr in guter Verfassung. Brot war schlecht oder es war keines da, kaum Wurst oder Käse, kaum Getränke für die Schule. Ich weiß noch, dass wir oftmals einfach Hunger hatten - also gingen wir so zur Schule.
Auch in der Schule hatte ich oft Hunger und war irgendwie neidisch darauf, wenn andere Kinder so schöne Brote dabei hatten, sich was kaufen durften oder sogar was zu trinken dabei hatten! Wir haben dann immer aus dem Wasserhahn getrunken, wenn wir Durst hatten - auch und gerade in der Schule.

Ich habe immer gedacht, wie teuer das wohl alles sein müsste, das wir das so nicht hatten.
Hunger war ein Begleiter, den ich so nicht kannte - und er blieb.

Wenn wir mittags von der Schule kamen, saßen wir oftmals vor der Tür, wir hatten keinen Schlüssel und meine „Mutter“ war nicht da - sie war bei ihrem Freund in Dortmund, in seinem Gebrauchtwarenhandel oder Essen gegangen, was sie oftmals taten.
Nachdem sich eine Nachbarin beschwert hatte, das wir immer vor der Tür saßen stundenlang (nicht nur, das wir Hunger hatten, wir mussten auch immer dirngend!), bekamen wir einen Schlüssel von „unserer“ Wohnung oben und durften rein. Damit kam sie dann gar nicht nach Hause, erst abends, mit ihm zusammen. Dann wurde auf heile Familie gemacht und wir mussten mit helfen, Sachen vom Auto nach oben tragen, aufräumen, kochen etc - wobei der Hunger, den wir den ganzen Tag über dann schon hatten, abends um 20 h irgendwann weg war...Erst dann wurde zusammen gegessen und wir durften um halb zehn - nach dem Spielfilm - dann hoch gehen.
Meistens mussten wir dann auch das dreckige Geschirr mit nehmen in einem Wäschekorb, um es bei uns in die Spülmaschine zu machen. Wie peinlich war mir das, wenn mich so Nachbarn sahen...

Diese Jahre waren für mich die Schlimmsten meines Lebens, nicht nur, weil ich in der Zeit missbraucht, vergewaltigt und manipuliert wurde, sondern weil mir vieles einfach fehlt, was „normal“ gewesen wäre. Dadurch hatte ich kein „Normalität“ - das Unnormale wurde Normal, anders kannte ich es ja nicht. Und es nahm mir meine Entwicklung, in jeder Hinsicht, die nicht nur für die Persönlichkeitsbildung so wichtig gewesen wäre.
Zehn Jahre verloren und unwiderruflich vorbei.

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